Inspirieren

Balancieren zwischen Kunst und Klima

Die Biennale INNSBRUCK INTERNATIONAL:
Der Versuch einer (sichtbaren) V-e-r-f-l-e-ch-t-u-n-g

Nun liegt sie also da, die meterhohe Buche. Gut sichtbar ist das dichte Wurzelwerk, dem lange gar nichts anhaben konnte. Jahr um Jahr wuchs sie Ring um Ring immer höher, immer weiter in Richtung Himmel. Und dann kam ein Windstoß, vielleicht einige hintereinander, der eh schon trockene Erdboden gab nach – und schon war es passiert. Für einige Zeit lang lag der entwurzelte Riese dann in einem Wildschönauer Bachbett. Bis Künstler Tue Greenfort kam, ihn bergen und im Innsbrucker Hofgarten aufbahren ließ (1). Als zum Kunstwerk mutierter Baum. Und als pflanzlicher Zeuge einer nahenden Klimakatastrophe. Hierzulande versteht das Motiv sofort jeder und jede, gehören in Tirol doch umgestürzte Bäume und tote Hänge inzwischen quasi zum Landschaftsbild.

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/ – Das, so tragisch es im ersten Augenblick sein mag, inspirierte zuletzt immer wieder Künstler*innen zu neuem Schaffen. Sie wollen genau hinschauen. Die deutsch-amerikanische Fotografin Uta Kögelsberger etwa, die für Inn Situ ihr Projekt Forest Complex realisierte. Mit dem dokumentarischen Blick zeigt sie, was nicht mehr ist. Ganze Waldstriche in Zillertal etwa, in denen hölzerne Skelette ihre Äste gerade noch so in die Höhe ragen. Sie blickt dabei aber auch auf den Menschen, der die Welt nach den vielen kleinen Apokalypsen erst wieder aufräumen muss. Am einfachsten mit roher Maschinengewalt. Großes Gerumpel ertönt, wenn der Hubschrauber im Video „Clearance“ tote Stämme aus gefährlichen Hanglagen ins Tal krachen lässt. – – /

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gesichts solcher Arbeiten ist es mitunter verführerisch, so tragisch das wiederum sein mag, sich als Betrachterin der Krise hinzugeben – ja, sogar komplett zu er-geben. In Schwermut abtauchen, sich treiben lassen, gerade weil die Ozeane auf inzwischen Badewannenwassertemperatur aufgeheizt haben. Weil Krisen zuletzt vornehmlich multipel auftreten. Und weil Krieg ist. Überall auf der Welt.  Ä c h z !

Vom Sich-Hingeben hielt INNSBRUCK INTERNATIONAL heuer allerdings nicht viel. Die sechste Biennale von Tereza Kotyk und Franziska Heubacher in Innsbruck setzte Kriegen, Krisen und Katastrophen heuer bewusst Kunst entgegen. Ihrem Publikum verpassten sie die Aufforderung „Heaven can wait“. Also Moment, Menschheit! Bevor wir untergehen: Was denkt eigentlich die Kunst über die Katastrophe? Können wir ihr entgehen? Gemeinsam vielleicht? In einer Allianz aus Mensch, Kunst, Technik und Natur? Himmel! Das heißt nicht nur abwarten und Tee trinken. Es ist Zeit zu handeln. – /

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hat die Biennale, die es seit 2012 biennal – also alle zwei Jahre – wie in Venedig eben auch in Innsbruck gibt, Kunst versammelt. Kunst, die irgendwie archaisch schien, aus Versatzstücken der Umwelt besteht (Erica Pedretti), Kunst, die sich ungewöhnliche Orte und Mythen erschloss (Christian Kosmas Mayer im Innsbrucker Bischofshaus) aber auch Kunst, die die Folgen des menschengemachten Klimawandels auf eine neue, andere Weise erzählte. Es ist Kunst, die sich auch an unangenehmen Themen reibt.

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r           sogar nackt.

Doris Uhlich ist dran. Und die Sonne geht auf. Für INNSBRUCK INTERNATIONAL – und mit Unterstützung des Tiroler Landestheaters – hat die oberösterreichische Choreographin „Sonne“ weiterentwickelt. Und damit ein Stück, das sich mit dem Leben ganz grundsätzlich auseinandersetzt, aber auch mit Innsbruck ganz spezifisch. Schließlich hat sich ihre Choreographie bis auf die oberste Spitze der Bergiselschanze ausgewachsen, auf der Uhlich am 17. Mai gelandet ist. Mit Performer*innen aus Tirol. Gemeinsam setzten sie der gewaltigen Sport-Architektur ihr nacktes, „warmes Fleisch entgegen“, wie es Uhlich selbst im Vorfeld der Performance betonte. Und das in einem Umfeld, das es ohne den Wintersport so gar nie geben würde. Und in einem Land, das ohne Wintertourismus zumindest ein anderes wäre. Hier auf der Schanze ist die Sonne normalerweise eher unerwünscht – gerade deswegen hat sie Uhlich mit pumpender Musik, Schall und Rauch, dort in den Himmel steigen lassen. Um eine neue Verflechtung zwischen Mensch und Natur wenigstens temporär provozieren.

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/- Verflechtungen sind ein gutes Stichwort für INNSBRUCK INTERNATIONAL im Allgemeinen. Schließlich ist die Kunstbiennale in Innsbruck schon 2012 nicht angetreten, um „nur“ bildende Kunst zu präsentieren. Nicht bloß Ausstellungen, auch Performances, Konzerte, Tanz und Musik, eben Kunst-Sehen und Kunst-Machen spielen für Heubacher und Kotyk in der Programmierung seit jeher eine große Rolle. So tänzelten manche dieser vorgestellten, künstlerischen Strategien auch heuer zwischen den Elementen. Einen wirklichen Balanceakt übernahm aber eben die – bereits am Beginn des Textes bereits angedeutete – Installation „Equilibrium“ von Tue Greenfort. Gerade hier wird die V-e-r-f-l-e-ch-t-u-n-g von Kunst und Klima, von Zu-Sehen und Mit-Machen nochmal deutlich. -/

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2022 war „Equilibrium“ des dänischen Künstlers bereits Berlin zu sehen, dort in der einstigen Kirche St. Agnes wird inzwischen Kunst gepredigt – und für teuer Geld ans Publikum gebracht. Greenfort ließ hier menschenkontrolliert (!) Natur einziehen. Indem er etwa ein Weizenfeld anpflanzte (Titel: „Monoculture“), gläserne, Quallen-artige Skulpturen durch den Raum schweben – und zwischen toten Bäumen aus Berliner Wäldern Slacklines ziehen ließ. So wie zuletzt in Innsbruck. Auch hier spannte sich zwischen Wurzelwerk und Stamm der liegenden, toten Fichte eine Slackline. Bedruckt wurde sie mit einem Zitat aus dem internationalen Klimareport von 2019. Die Botschaft ist simpel und unmissverständlich: Natur und Biodiversität weltweit nehmen in einem in der Menschheitsgeschichte unbekannten Ausmaß ab – und das Artensterben gleichzeitig zu (2). Das Gleichgewicht scheint längst gekippt.

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interessanter also, dass Tue Greenfort das Motiv des Gleichgewichts nochmals auf andere Weise aufnimmt. Über die beschriebene Slackline in Innsbruck durften mit einer Sondergenehmigung einmalig Interessierte taumeln: In einem Workshop Ende Mai wurde das Balancieren sogar eifrig geübt. Im Zentrum dieser Aktivierung des Publikums steht einmal mehr das „Equilibrium“, das vielleicht wenigstens temporär entsteht. Solange man sich auf der Slackline eben halten kann.-/

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-/ Das Versöhnende abschließend: Ein Funke Hoffnung ist immer da. Bei INNSBRUCK INTERNATIONAL und der dort gezeigten Kunst. Leerstellen werden geschlossen, v-e-r-f-l-o-ch-t-e-n vielleicht sogar. So wie bei Tue Greenforts Installation selbst: Zwischen den Worten der alarmierenden Botschaft ließ der Künstler Emojis sticken. Käfer, Krabben, Raupen oder der Planet Erde fluten die Leerstellen. Die Natur ist präsent – ja, vielleicht sogar gleichwertig?

 

 

Oder 🐚 sie 🦀 hat 🐞 den 🌎 Balanceakt 🐬 schon 🐙 geschafft.

Barbara Unterthurner

 

(*1988 in Meran) ist Kunsthistorikerin und Kulturredakteurin. Seit 2018 ist sie im Kulturressort der Tiroler Tageszeitung tätig und newslettert für das Büro für Gegenwartskunst in Innsbruck, das sie 2021 mitbegründet hat. Texte entstanden u.a. für EIKON – Internationale Zeitschrift für Photographie und Medienkunst oder „kulturelemente – Zeitschrift für Kultur und aktuelle Fragen“. 2023 wurde sie in Wien mit dem AICA-Preis für junge Kunstkritik ausgezeichnet.

6. Treffpunkt Klimakultur

 

Für unseren 6. Treffpunkt Klimakultur haben wir uns mit der Kunstbiennale INNSBRUCK INTERNATIONAL verflochten. Am 16. Mai 2024 trafen wir uns im Hofgarten Innsbruck, wo Johannes Reisigl mit der Kuratorin Franziska Heubacher über die Außeninstallation EQUILIBRIUM des dänischen Künstlers Tue Greenfort, über das Motto der diesjährigen Biennale „Heaven can wait“ und die Herausforderungen, die an der Schnittstelle Kunst – Klima bestehen, sprach.

(1)Treffpunkt Klimakultur © Barbara Alt

(2)Equilibrium © Tue Greenfort

Kurator*innengespräch im Rahmen des 6. Treffpunkt Klimakultur © Michael Steger

Hofgarten Tue Greenfort © INNSBRUCK INTERNATIONAL/WEST.Fotostudio