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Konsumierst du noch oder reparierst du schon?

Am 15. Oktober 2022 – dem International Repair Day – startete das re:pair FESTIVAL im Volkskundemuseum Wien. Ziel des Festivals ist es, die traditionsreiche Kultur der Reparatur aufzuwerten und wiederzubeleben. Im Blog-Beitrag macht die Kuratorin Tina Zickler einen Streifzug durch das Festival: vom Reparaturbonus über “Visible Mending” bis zum japanischen Schönheitsideal Wabi-Sabi.

re:pair the future

REPARATUR ist ein wichtiges Instrument, um der Klimakrise entgegenzutreten. REPARATUR ermöglicht effizientere Nutzung von Produkten und einen achtsameren Umgang mit unseren Ressourcen. Und sie lässt sich hervorragend in den eigenen Alltag integrieren. In den letzten Jahren sind in verschiedensten Bereichen Reparatur-Initiativen entstanden. Deshalb kooperiert das re:pair FESTIVAL Wien mit lokalen Partnerinstitutionen wie z. B. dem Reparaturnetzwerk und RepaNet. Gleichzeitig präsentiert das Festival internationale Expert*innen, Aktivist*innen und Künstler*innen.

 

Mich persönlich fasziniert das Thema REPARATUR seit der von mir kuratierten Ausstellung „handWERK – tradiertes Können in der digitalen Welt“, die 2016/17 im Museum für angewandte Kunst Wien gezeigt wurde. Im Handwerk ist REPARATUR ein selbstverständlicher Teil der täglichen Arbeitspraxis. Seit ich begonnen habe, das re:pair FESTIVAL zu planen, entdecke ich REPARATUR überall. So ist ein interdisziplinäres, vielfältiges Programm entstanden. Angefangen bei der Medizin und der Faszination darüber, wie der eigene Körper es schafft, sich nach einer Verletzung oder einer Operation selbst zu reparieren, über unsere Baukultur und den Erhalt historischer Gebäude, wie sie unter anderem das Stadtbild Wiens prägen, bis hin zum gewaltigen Potential, das im Umbau und Erhalt von Bestandsarchitektur liegt. Denn die Bauwirtschaft verschlingt weltweit gigantische Mengen an Rohstoffen – ein radikaler Paradigmenwechsel ist hier unabdingbar.

Im Bereich der Technik

… tut sich politisch endlich einiges. Mit 130 Mio. Euro, die im Rahmen des Aufbau- und Resilienzplans vergeben wurden, unterstützt die Europäische Kommission in Österreich die Reparatur von elektrischen und elektronischen Geräten. Vorreiter in Sachen Reparaturbonus war die Stadt Wien. Bereits im Herbst 2020 vergab die Stadt zum ersten Mal einen Reparaturbonus im Wert von 100 Euro, der nicht nur für technische Geräte, sondern auch für das Flicken von Bekleidung eingesetzt werden konnte. Toll wäre es, wenn in Wien und in anderen Städten fixe Repair-Zentren geschaffen würden, wo verschiedene offene Werkstätten und diverse Materiallager beisammen wären.

In der Mode

… ist REPARATUR inzwischen ein Must. Denn die Produktion und Vermarktung von Fast Fashion beruht auf Ausbeutung der Arbeitskräfte und der Zerstörung unserer Umwelt. Tonnen von gebrauchten und neuen Kleidungsstücken werden derzeit verbrannt! Glücklicherweise entdecken gerade immer mehr Menschen „Visible Mending“ für sich. Visible Mending ist die sichtbare Reparatur von Kleidung. Wurde Bekleidung früher zumeist „unsichtbar“ geflickt, so werden Löcher, Risse oder Flecken heute mit einfachen Stick- und Stopftechniken kreativ repariert. Das macht Spaß und schafft sehr individuelle Kleidungsstücke! Visible Mending trendet derzeit generationsübergreifend und auf YouTube gibt es dazu unzählige Tutorials. Das ist ermutigend, auch wenn die Produktions- und Konsumzahlen weiterhin viel zu hoch sind.

Auch in der Kunst

… ist das Thema präsent. Etliche bekannte Künstler*innen beschäftigen sich mit REPARATUR. Kader Attia, international renommierter Künstler und Kurator der diesjährigen Berlin Biennale, thematisiert in seinem Werk beispielsweise Akte der Reparatur, die sich in verschiedenen Bereichen der Gesellschaft vollziehen. Yoko Ono schuf bereits 1966 ihr Werk „Mend Piece“, das kürzlich wieder in der Whitechapel Gallery in London und im Kunsthaus Zürich gezeigt wurde. Diese interaktive Arbeit bietet dem Publikum die Möglichkeit, Keramikscherben mittels Garn/Schnur zusammenzufügen und so neue Objekte zu schaffen. Das Werk rekurriert einerseits auf die japanische Technik des Kintsugi und knüpft andererseits auch an das Handwerk der europäischen Kesselflicker an.

 

Kintsugi ist die traditionelle Methode, zerbrochene Keramiken mit Urushi-Lack und Gold zu reparieren. Allgemein ist in Japan der Umgang mit gebrauchten und reparierten Gegenständen ein völlig anderer als in unserer Kultur. Im Gegensatz zu westlichen Schönheitsidealen, die das Perfekte und Makellose preisen, steht Wabi-Sabi. Diesem ästhetischen Ideal gilt als schön, was Spuren der Zeit, der Verwitterung, des Gebrauchs aufweist. Die japanische Kultur ist und war mein Leitstern fürs Festival.

“Vor der Wegwerfgesellschaft”

Ein besonderes Highlight des re:pair FESTIVAL ist die Ausstellung „Vor der Wegwerfgesellschaft“. Jahrhundertelang war es Usus, kaputte Gegenstände des täglichen Lebens zu reparieren. Egal, ob es sich um ein beschädigtes Werkzeug, eine fehlende Schraube, einen Riss im Material, ein Loch im Gewand oder um einen abgerissenen Knopf handelte, das Wissen und die Fertigkeiten zur Reparatur wurden selbstverständlich von Generation zu Generation weitergegeben, denn dieses war von existenzieller Bedeutung, und zwar nicht nur für arme Bevölkerungsschichten. Einfache Ausbesserungsarbeiten wurden selbst ausgeführt, und im Zweifelsfall wurde improvisiert. Komplexe Reparaturen wurden hingegen von Handwerker*innen übernommen, die über die dafür notwendigen Werkzeuge und vor allem über das dafür notwendige händische Können verfügten.

 

Die Ausstellung „Vor der Wegwerfgesellschaft“ präsentiert ausgewählte, geflickte Objekte der Sammlungen des Volkskundemuseum Wien, die aus Textil, Keramik, Metall oder Holz bestehen und von der Renaissance bis zur Gegenwart datieren. Beispielsweise wird eine karierte Stoffhose aus der Biedermeierzeit gezeigt, die unzählige Male geflickt wurde. Ihr wird eine Jeans eines Museumsmitarbeiters gegenübergestellt, die er immer wieder ausbesserte und dafür von seiner Großmutter das Nähen mit der Maschine erlernte.

Rück- und Ausblick

Es zeigt sich deutlich, dass die Besucher*innen des re:pair FESTIVAL begeistert dabei sind und gerne mitmachen. Alle Workshops sind ausgebucht bzw. überbucht – egal ob es sich um die Visible Mending Workshops für Schul- und Lehrlingsklassen oder um den Messer-Schleif-Kurs und die Teppich-Ambulanz handelt. Das ermutigt mich sehr, auch in 2023 ein re:pair FESTIVAL zu kuratieren und zu organisieren.

Weiterführende Ressourcen

Dieser Blogbeitrag hat dein Interesse geweckt; du möchtest selbst aktiv werden und deine Kleidung, Geräte, ein Fahrrad etc. reparieren?

 

In Tirol gibt es einige Initiativen, die dich bei deinen Vorhaben unterstützen und inspirieren, wie zum Beispiel:

Tina Zickler

Konzept, Planung, Fundraising und Organisation des re:pair festivals. Studium der Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation an der Universität der Künste Berlin. Kulturmanagement für folgende Projekte & Institutionen: Wild Wonders of Europe – BMU Berlin, artnet AG, AGI Congress Berlin 2005, TESLA im Podewilsʼschen Palais, British Council, Art Forum Berlin, 2. berlin biennale, Bayerische Staatsoper München, GEMA, Passionsspiele Oberammergau 2000, Universität der Künste Berlin und ATZE-Musiktheater für Kinder. Tina Zickler lebt seit 2012 in Wien.

info@projekt-schwadron.at

re:pair festival © Kollektiv Lischka/Kramar

re:pair festival © Kollektiv Lischka/Kramar

re:pair festival © Kollektiv Lischka/Kramar

re:pair festival © Kollektiv Lischka/Kramar

re:pair festival © Kollektiv Fischka/Stefanie Freynschlag

Tina Zickler © Lisa Rastl