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Vielstimmiger Weckruf

Knabenchor trifft Klimakrise: Mit der Performance „FORTUNA oder der Tanz auf dem Vulkan“ hat das Kunstkollektiv Experimental Setup einen aufrüttelnden Kommentar zum Zustand unserer Welt präsentiert. Fortsetzung folgt – hoffentlich!

Ein Samstaggabend im September 2023, der nebenbei erwähnt als der wärmste September seit Beginn der Aufzeichnungen in die Meteorologie-Geschichte eingehen wird: Vor der alten Eisengießerei auf dem Areal der ehemaligen Maschinenfabrik Oberhammer in St. Bartlmä herrscht großer Andrang. Hinter verschlossenen Türen läuft gerade die Musikperformance „FORTUNA oder der Tanz auf dem Vulkan“, draußen wird auf den wegen des regen Zulaufs anberaumten zweiten Durchgang gewartet. Was den Vorteil hat, dass man in den Gesichtern derer lesen kann, die nach einer knappen halben Stunde aus der dunklen Halle wieder ins Abendlicht herausstolpern: Leise Irritation ist da zu sehen, bei manchen eine gewisse Beseeltheit, die wohl auch von der Musik herrührt, da und dort auch deutliche Betroffenheit.

„Wenn man es überspitzt formuliert, dann opfern wir die Zukunft der kommenden Generationen.“

Wenn es um die Kinder geht, hört sich der Spaß nämlich auf. Oder etwa nicht? Es ist bekannt und durch Studien belegt, dass die Klimakrise für viele junge Menschen eine psychische und emotionale Belastung darstellt. Bekannt ist außerdem, dass es in Fragen des Klimaschutzes um nicht weniger als um die Frage geht, welche Lebenswelt wir nachkommenden Generationen hinterlassen.

 

Und dennoch geraten die Dinge in Sachen Klimaschutz nur schleppend in Bewegung, schreitet die ökologische Ausbeutung des Planeten voran. „Wenn man es überspitzt formuliert“, sagt Bosko Gastager, „dann opfern wir die Zukunft der kommenden Generationen.“ Denn die seien es, ergänzt Kata Hinterlechner, „die mit aller Härte und Wucht das tragen werden müssen, was wir heute konsequent verdrängen und verabsäumen“.

Hinterlechner und Gastager, die zusammen das Kunstkollektiv Experimental Setup bilden, reagieren nicht zum ersten Mal künstlerisch auf das, was sie selbst als „den Wahnsinn unserer Zeit“ bezeichnen. Auch in der performativen Rauminstallation „Im Rausch des Untergangs“, die sie vor einigen Jahren im Rahmen der Premierentage gezeigt haben, ging es darum. Als dann die Förderschiene TKI open 2021 das Motto „ausbaden“ ausgerufen hat, lag für Experimental Setup der Gedanke an die Klimakrise und das Erbe, das wir späteren Generationen hinterlassen, nahe. Und sie rollen diesen Gedanken in „FORTUNA oder der Tanz auf dem Vulkan“ mit großer und symbolträchtiger Geste aus, wie man schon beim Betreten der Gießerei erkennt:

 

Eine stillgelegte Industriehalle ist ein sinniger Schauplatz für einen Abgesang auf eine Lebensweise, die auf Raubbau und Ressourcenverschwendung beruht. Symbolträchtig sind aber auch die Protagonisten der Performance, nämlich rund 90 Wiltener Sängerknaben, die jüngsten von ihnen neun Jahre alt. Wer könnte die Jugend besser repräsentieren als einer der traditionsreichsten Knabenchöre Europas, der auch gern als kulturelles Aushängeschild gerühmt wird? Eben. Allerdings geht es hier ja eigentlich auch um die Gleichgültigkeit, mit der die Gesellschaft die Zukunft der Jungen aufs Spiel setzt.

In der Entlarvung dieser Diskrepanz liegt denn auch eine der großen Stärken dieser musikalischen Performance, in der die Sängerknaben den berühmten Chorsatz „O Fortuna“ aus Carl Orffs Carmina Burana intonieren und sich dabei langsam an den Rand eines Vulkankraters bewegen, während das Publikum, unter das sie sich zuvor gemischt hatten, ein wenig belämmert in Rauchschwaden zurückbleibt – und sich fragt, ob es gerade einem Opferritual beigewohnt hat.

„Ich finde es cool, dass wir unsere Stimmen für diese Message nutzen und aufschreien können.“

Mehr soll über das Finale an dieser Stelle nicht verraten werden, denn wenn es nach Kata Hinterlechner und Bosko Gastager geht, findet die bild- und klanggewaltige Performance auch mit anderen Chören eine Fortsetzung. Die Wiltener Sängerknaben mussten sie jedenfalls nicht lange zu dieser Kooperation überreden, obwohl der Chor sehr viele Anfragen bekomme und schon aus zeitlichen Gründen leider auch oft absagen müsse, so dessen künstlerischer Leiter Johannes Stecher. In diesem Fall habe aber auch ihn die Möglichkeit gereizt, „auf eine positive, konstruktive Weise auf das Klimathema aufmerksam zu machen“. Das ging auch jungen Sängern wie Josef Kobinger so: „Kata und Bosko sind vorab zu uns ins Probenlokal gekommen und haben uns erklärt, was es mit der Performance auf sich hat und worum es geht“, erzählt der 19-Jährige. „Und ich finde es cool, dass wir unsere Stimmen für diese Message nutzen und aufschreien können. Sie haben uns als Chor außerdem auch viel Freiheiten gelassen.“

Ivona Jelčić

studierte Vergleichende Literaturwissenschaft und Romanistik an der Universität Innsbruck. Sie war Leiterin des Kulturressorts der Tiroler Tageszeitung und ist seit 2018 als freischaffende Journalistin (u. a. für Der Standard) und Autorin („14 Tage 1918. Die Anfänge der Republik in Tirol”; Tyrolia Verlag; mit Matthias Breit) tätig. Schreibt schwerpunktmäßig über bildende Kunst, Theater, Architektur und Raumgestaltung sowie über gesellschaftspolitische Themen.

© Günter Kresser

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© unattimo Photographie

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