Inspirieren

Verflechtungen von menschlichen und mehr-als-menschlichen Körpern

Ein Beitrag über Barbara Gampers „Somatic walk – sensing our entanglements with the natural world“

Der 20. September war ein wunderschöner Herbstnachmittag im Schwazer Silberwald, an dem die Sonne uns nochmals die Haut erwärmt hat. Die perfekten Voraussetzungen für den „Somatic Walk – sensing our entanglement with the natural world“, während dem uns Barbara Gamper (1) sensibel und feinfühlig auf der Erkundung unserer Verflechtungen mit den natürlichen Ökosystemen begleitet hat.

 

Barbara Gampers (*1981 Meran, lebt und arbeitet in Berlin) interdisziplinäre künstlerische Praxis selbst ist eine Verflechtung von verschiedenen Ausdrucksformen und Arbeitsweisen, die Bewegung, Somatik, Performance, bewegte Bilder und Textilien umfasst. Der menschliche Körper als poröse und flüssige Form und als Teil eines größeren, mehr-als-menschlichen Gefüges spielt eine zentrale Rolle in ihrer Forschung und künstlerischen Arbeit.

 

Der somatische Spaziergang, den Barbara Gamper auf Einladung von Klimakultur Tirol in Kooperation mit dem Regionalmanagement Schwaz konzipiert hat, setzt bei uns Menschen an und zeigt Möglichkeiten und Strategien auf, der Klimakrise zu begegnen. Er tut dies, indem wir mit unseren Körpern mit anderen menschlichen und nicht-menschlichen Körperlichkeiten und Ökologien in Vernetzung treten. Inhaltlich fügt sich der Walk von Barbara ganz wunderbar in das Jahresthema der Klimakultur Tirol („Verflechtungen“) ein. Unsere symbiotische Lebensgemeinschaft mit der natürlichen Umwelt fühlte sich an diesem Nachmittag besonders lebendig an.

 

Der Treffpunkt für den Walk war das Museum der Völker in Schwaz. In einem großen leeren Raum kommen wir erst mal alle an. (2) Barbara führt uns in die Somatik ein: Mit verschiedenen Methoden und Techniken der Körperarbeit wird der Körper neu erfahrbar, durch Berührung und Bewegung die eigene Vorstellungskraft sensibilisiert und geschärft. Es ist eine Einladung zur Verlangsamung und bewussten Wahrnehmung, aber auch der Erkennung von systemischen Mustern und Machtdynamiken. Eine Verbindung des menschlichen Körpers mit den anderen Körpern der Natur kann spürbar werden. Auch das Sehen als aktives Wahrnehmungsinstrument der Kunst bringt Barbara in dieser Einführung ins Spiel.

 

Ursula K. Le Guin schreibt in dem kurzen Essay Weithin verwandt (Originaltitel: Deep in Admiration) aus 2010-2014 über die Verwandtschaftsbeziehungen zwischen uns Menschen, Tieren Pflanzen und sogar Steinen, mit denen wir alle im stofflichen Sinn verbunden sind, in einem System der wechselseitigen Verbundenheit. Um diese Verwandtschaft zwischen den Strukturen im menschlichen Körper und jenen von Pflanzen, Tieren und Pilzen erfahrbarer zu machen, hat Barbara eine Serie von Fotografien und zeichnerischen Darstellungen mitgebracht. (3) Die Visualisierung lässt die Gemeinsamkeiten, beispielsweise in der Struktur eines Myzels und den Nervenzellen im Hirn oder der Baumrinde und einer Schlangenhaut, auch für das Auge erkennbar werden.

 

Angeleitet von Barbara begeben wir uns nun auf unseren Yoga-Matten liegend auf eine Reise durch unsere Körper und der Verbundenheit mit dem Boden, die Bilder der Strukturen sind noch lebendig in unseren Köpfen und lassen uns unsere Knochen ganz bewusst spüren, nicht als starre Strukturen, sondern als lebendiges, verbindendes Element. (4) Sind unsere Knochen die Steine der Erde? Nach dieser ersten Übung im Raum begeben wir uns hinaus in die frische Luft und in die Sonne und spazieren los in Richtung Wald, mit der Einladung, uns paarweise über unsere Gedanken und Beziehung zum Boden, dem Element Erde, auszutauschen. (5) Noch an weiteren Momenten an diesem Nachmittag werden wir eingeladen, nach der Körpererfahrung auch die Bilder und Assoziationen, die entstanden sind, in Sprache zu fassen. Der Austausch ermöglicht das sensorisch Erfahrene zu verbalisieren und so auch in der Gruppe in Verbindung zu treten.

 

Wir tun dies erstmals bei einer kleinen, künstlich angelegten Arena neben dem Weg. (6) Der Boden wird als Haut der Erde beschrieben, die wir sinnlich mit unseren Händen und Füßen erfahren können. Die Komplexität dieses Elements wird verdeutlicht, wenn darüber gesprochen wird, dass in einer Hand voll Erde mehr Mikroorganismen stecken, als es Menschen auf der Welt gibt. Die Wichtigkeit des Bodens als ein Ermöglicher von Biodiversität und damit von einem ökologischen Gleichgewicht wird beschrieben, aber auch die kleine Zeitspanne der menschlichen Präsenz auf der Welt von ein paar Millionen in Verhältnis zur Erdgeschichte von Milliarden von Jahren.

 

Mit einem Auszug aus dem Prolog von Emanuele Coccias Buch Die Wurzeln der Welt: Eine Philosophie der Pflanzen, in dem der italienische Philosoph uns die Wichtigkeit der Pflanzen im Ökosystem Erde näherbringt, begleitet uns Barbara nun weiter: Mit geschlossenen Augen spüren wir ganz bewusst unserem Atem nach, sind wir doch über die Luft mit der Pflanzenwelt verbunden. Verschiedene Übungen lassen uns die Atmung als bewussten Moment wahrnehmen und die Luft, die über unsere Lungen in den Körper dringt, in anderen Teilen des Körpers spüren. Die Pflanzen als Lungen der Erde und unsere Atmung sind plötzlich ganz nah beieinander. (7)

 

Nachdem wir nun weiterspazieren, dem Erfahrenen zuerst einzeln und dann gemeinsam gehend nachspüren, gibt es wieder einen Halt, bei dem wir mehr über die Pilze erfahren, die ältesten Bewohner der Erde, und über das Myzel, also die unterirdisch fadenförmigen Zellen, die mit den umliegenden Bäumen in ständigen Austausch sind. Dieses Bild lässt an Donna Haraway denken und ihre Aufforderung, sich mit anderen Arten verwandt zu machen, da wir nur in Gemeinschaft, in Symbiose, mit anderen Arten auf diesem von der Klimakrise gebeutelten Planeten überleben können.

 

Am letzten Halt im Wald für diesen Nachmittag sind wir beim Wasser angelangt. Die Sonne ist nun längst hinter den Bergen verschwunden und die Feuchtigkeit in der Luft wird spürbar. Wenn für die Pflanzen der Boden das erste Leben ist, so ist es für den Menschen das Wasser. Auch der menschliche Körper besteht zu großen Teilen aus Flüssigkeit. Doch was bedeutet es, wenn unser Menschsein flüssig ist und wir uns den von der Gesellschaft und Kultur anerzogenen Geschlechterrollen und Haltungen entziehen wollen? Mit geschlossenen Augen erproben wir das zelluläre Atmen, versuchen den Ozean in unserem Körper zu spüren und über die Atmung die Zellflüssigkeiten in unserem Körper in Bewegung zu bringen. Gar nicht so einfach, sich in diese unsichtbaren Strukturen hineinzufühlen und zu denken.

 

Den Abschluss des Nachmittags bildet eine letzte Gesprächsrunde des Austausches zurück im Museum, wo uns auch ein leckeres Buffet mit Köstlichkeiten von nahegelegenen Bauern erwartet. Barbara ist es gelungen, uns zu begleiten und Anstöße zu geben, um unsere Verbundenheit mit der Natur zu spüren, und um unsere zellulären Erinnerungen im Körper zu wecken und die rational denkende Ebene ein Stück weit in den Hintergrund zu rücken, auch um auf andere Sinne als nur das Sehen zu vertrauen.

 

Dieser kurzweilige Nachmittag hat uns daran erinnert, wie wichtig es ist, uns Menschen als Teil des Ökosystems Erde zu verstehen, als Teil eines lebendigen Gefüges, in dem Gesellschaft nicht getrennt von ihrem Umfeld gelebt wird. Diese Verbundenheit nicht nur rational zu verstehen, sondern zu spüren und zu fühlen, ist eine wertvolle Erfahrung. Der Begriff der Klimakultur ermöglicht es, genau diese Brücke zu schlagen und die Klimakrise nicht als Objekt von außen zu betrachten, als reine Zahlen und Statistiken, auf die man blickt und über die man spricht, sondern durch die Verschränkung von verschiedenen Wissensformen aktive Strategien des Umgangs damit vorzuschlagen. Kultur wird dabei zur Möglichkeit zu experimentieren, alle Sinne miteinzubeziehen und sich von Schuldgefühlen und dem Gefühl der Machtlosigkeit in eine Haltung zu bringen, in der wir eine gemeinsame Handlungsfähigkeit als kollektiver Körper verspüren.

 

Lisa Mazza

ist Mitbegründerin der Genossenschaft BAU – Institut für zeitgenössische Kunst und Ökologie, das sie gemeinsam mit Simone Mair seit 2015 leitet. In ihrer Arbeit ermöglicht und erarbeitet sie Projekte mit Künstler*innen v.a. im ländlichen Raum in Südtirol.