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Überbleiben – Vom Tun und Seinlassen

Ausstellung von Melanie Gandyra im Openspace Innsbruck – ein Besuch im Rahmen der Tage der Klimakultur von Eva Siller und Anne Sausgruber.

Beim Betreten des Openspace’ in Innsbruck begrüßt uns eine monumentale Skulptur mitten im Raum. Ein Bergmassiv, auf der einen Seite in tiefen Blautönen, auf der anderen in ein alarmierendes Rot getaucht. Verschiedenste Blätter aus Filz liegen am Boden, daneben eine kleine Pfütze, Regentropfen kreiseln beim Vorbeigehen unter Sonne und Wolken. Kräftige Farben dominieren den Raum. Auf der einen Seite sehen wir gemalte Samen, auf der anderen Bilder blühender Blumen, eine Gießkanne, abstrakte Landschaften und wütendes Wetter. Zwischen den Fenstern liegt ein Heft in Form einer Hand, auf der Wand darüber eine Landschaftsdarstellung. Doch irgendetwas fehlt hier im Openspace. Aber dazu später mehr.

Nährboden für blühende Ideen

Der Openspace Innsbruck wurde 2012 vom „Verein zur Förderung der Alltagskultur“ gegründet und bereichert seither die Innsbrucker Kulturlandschaft an der Schnittstelle von Kunst, Design, Musik und mehr. Seit Januar 2025 verwaltet und erhält ein sechsköpfiges Kernteam den Raum, nachdem das Programm über ein Jahrzehnt von Charly Walter betreut wurde.

 

Als offener Raum bietet der Openspace einen Nährboden und eine Plattform für Kunst und Kultur. Johannes Reisigl, der den Abend mit begrüßenden Worten einleitet, ist sowohl Mitglied der Kerngruppe des Openspace’ als auch des kuratorischen Beirats von Klimakultur Tirol. Teil der Tage der Klimakultur ist auch diese Ausstellung „Überbleiben – Vom Tun und Seinlassen“ von Melanie Gandyra. Die Eröffnung fand am 24. Oktober statt. Die Ausstellung nimmt direkt Bezug auf das Klimakultur-Jahresthema „Bleibefreiheit“.

„Was darf bleiben in einer Welt, in der das Artensterben unsere Natur aus dem Gleichgewicht bringt? Wer darf bleiben, an einem sicheren Ort, wenn ganze Erdteile durch die Klimakrise unbewohnbar werden? Und was lassen wir lieber bleiben, angesichts dieser Herausforderungen?“

Lisa Prazeller

Die Ausstellung bezieht sich auf ein Artenschutzprojekt der Botanischen Gärten Österreichs, das sich für die Wiederansiedlung von heimischen ausgestorbenen oder stark gefährdeten Pflanzen einsetzt. Auch der botanische Garten Innsbruck ist involviert. Das Projekt war eine Reaktion auf die aktualisierte Rote Liste für Farn- und Blütenpflanzen Österreichs (2022), aus der insgesamt 47 Pflanzen ausgewählt wurden. Die gesammelten Samen dieser Pflanzen wurden in den Botanischen Gärten herangezogen und schließlich an verschiedenen Standorten ausgesiedelt. Die Pflänzchen wurden regelmäßig kontrolliert, gegossen und gepflegt und die Erfolge dokumentiert.

Rote Liste, grüner Daumen

Eine greifbarere Art der Dokumentation verfolgt Melanie Gandyra. Sie ist freiberufliche Illustratorin und Künstlerin aus Hamburg, die nun seit einigen Jahren in Innsbruck lebt und in der Ateliergemeinschaft Parterre6 arbeitet. Ihr Schwerpunkt liegt auf der Infografik und informativen Illustrationen, jedoch vor allem in Innsbruck erlangte ihre Praxis einen künstlerischen Schwerpunkt. Die Beschäftigung mit dem Projekt war von der Künstlerin selbst initiiert, wie es einige ihrer Herzensprojekte sind.

„Als Verwebung von Wissenschaft, Naturschutz und Kunst positioniert sich die Arbeit an ÜBERBLEIBEN als Schnittstelle. Die Ausstellung dient als Erweiterung und Vermittlungsportal einer Bestrebung, sich dem Bleiberecht derer zu widmen, die im Stillen zu verschwinden drohen. Die entstandenen Arbeiten wirken als Konservatorium von Tatendrang, Aktionismus und Hoffnung.“

– wird treffend im Begleittext geschrieben.

Melanie Gandyra versucht in dieser Arbeit im Rahmen des Arbeitsstipendiums des Land Tirols „den Fokus auf die kleinen Details“ zu setzen und dadurch Besucher*innen zu animieren, sich mit der Umgebung und dem, was schützenswert ist, zu beschäftigen. Zentral sieht Gandyra dabei die Pflanzensamen, die in der Serienarbeit Kultivator in den Fokus gerückt werden – „Ohne Samen keine Pflanze.“ Die Samen sind eigentlich das Wichtige, das sich kaum jemand anschaut. An einer Wand des Openspace sind sieben Samen großformatig gemalt und auf roten Regalböden präsentiert, die Bezug zur roten Liste herstellen.

 

Flankiert wird diese Serie von der kleinen Zeichnung „Wettern“ und der skulpturalen Arbeit „Wüten“ – als Symbol dafür, wie Wetter und Klima direkten Einfluss haben, einerseits auf die Pflanzen selbst, aber auch auf die Standorte, an denen die Arten gerade sprießen. Gegenüber der Wand steht die Installation eines Bergmassivs, das die intensiv rote Seite den Samen zugewandt hat und überträgt die Samen der roten Liste in eine rote Zone der Bedrohung. Die Arbeiten im Raum zeigen Wetter, Klima, Bedrohung und Hoffnung. Doch was fehlt?

Über das Kümmern und Verkümmern

„Ich wollte […] das Momentum schaffen, dass die Leute reinkommen und die Pflanzen vermissen, weil das ja genau das ist, was passiert“,

erzählt Melanie Gandyra. Die Ausstellung hebt das „Fehlen“ hervor, das droht, wenn sich niemand mehr kümmert. Die Pflanzen selbst sind versteckt, in Form von herausziehbaren Miniaturen in einer Kladde, einem experimentellen Arbeitsbuch, das im hinteren Bereich des Raums zum Blättern einlädt. Darin finden sich die Pflanzen, die der Botanische Garten der Universität Innsbruck versucht wiederanzusiedeln – 10 an der Zahl.  So viele waren es zumindest ursprünglich, nun sind es 11, da eine Pflanze nicht keimte.

 

Nach hinten hin werden die Pflanzen immer kleiner. Das symbolisiert, wie groß oder klein der Erfolg der Ansiedlung der jeweiligen Art war. Die Kladde soll auch weiterhin wachsen und gibt durch begleitende Worte und Werkzeuge Anknüpfungspunkte. Betrachter*innen sind aufgefordert, die filigranen Pflanzen herauszuziehen, sie in den Händen zu halten und sich ebenfalls „zu kümmern“, auch wenn nur für einen kurzen Moment.

 

Die Arbeit „Das Seinlassen Müssen“ erzählt von der Frage, was von der Arbeit wirklich übrigbleibt, wenn die kümmernden Hände der Gärtner*innen nicht mehr da sind. Ein Blick in die Glaskugel lässt über eine ungewisse Zukunft nachdenken. Der Zeitrahmen des Artenschutzprojektes ist kurz, mit Ende dieses Jahres läuft es aus. Was überlebt? Was bleibt? „Dann bleibt ja nur die Hoffnung.“

Kunst als Keim der Hoffnung und der Handlungsmacht

Das größte Potential in Kunst und Design liege darin, „dass man mit Kunst und Design aktivierend wirken kann“, antwortet Melanie Gandyra auf die Frage, worin die Kraft in ihrer Arbeit liegt.

„Die meisten Leute sind in so einer Art von Schockstarre. Wo fange ich jetzt an? Wo habe ich überhaupt Einfluss?“ Mit dieser anderen Art der Kommunikation und Vermittlung von Informationen kann unter Umständen eine Saat hinterlassen werden. Ein anderer Zugang, „der spielerischer und unmittelbarer“ ist, der diese Saat – durch die Blume gesagt – eventuell sprießen und gedeihen lässt.

Als letzte Arbeit lädt eine Gießkanne ein, sich selbst die Fragen mitzunehmen „Worauf habe ich Einfluss?“

 

Wir nähern uns dem Ende. Dem Ende der Ausstellung, dem Ende der Tage der Klimakultur 2025 und Torschlusspanik drängt sich auf mit der Frage: Was bleibt? Was bleibt von den Bemühungen der Einzelnen? Sehen wir irgendwann wieder mehr Steppenfenchel oder Gottesgnadenkraut auf den Wiesen und Wäldern?

 

Wie Lisa Prazeller im einleitenden Text zum Klimakultur-Jahresthema 2025 schrieb:

„Auch in unseren Breitengraden vertreiben Naturkatastrophen, wie Überschwemmungen und Brände, Menschen aus ihren Häusern. Währenddessen verschwinden täglich bis zu 150 Pflanzen- und Tierarten für immer – sie dürfen nicht bleiben.“

Am Ende bleibt jedoch die Hoffnung und die Erinnerung daran, dass jedes Kümmern Spuren hinterlässt und aus dem Seinlassen vielleicht auch neues Tun erwachsen kann. Melanie Gandyra schafft mit ihren Arbeiten eine zärtliche Hommage an die Wirkung, die sich entfaltet, wenn auch die kleinen Dinge beachtet werden.

Eva Siller

(geb. 2002) wuchs in Baumkirchen (Tirol) auf. Nach einer Ausbildung im Bereich Malerei und Design folgte das Studium der Kunstgeschichte in Innsbruck. Sie ist als Kunstvermittlerin und im Besucher*innenservice im TAXISPALAIS Kunsthalle Tirol tätig und daneben in der freien Kulturszene aktiv, in den letzten Jahren unter anderem bei der BALE Innsbruck und dem Verein kunst|stoff.

Anne Sausgruber

(geb. 2002) ist zwischen dem Tiroler Unterland und den Südtiroler Bergen aufgewachsen. Nach einer Ausbildung im Bereich Bildhauerei und Objektdesign widmete sie sich dem Studium der Kunstgeschichte in Innsbruck. 2025 hat sie die Meisterprüfung zur Keramikerin im Burgenland absolviert und ist als Fotografin und Grafikdesignerin tätig.

Fotos: Anne Sausgruber

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