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Kleider, Kunst und Klima

Das Kunstprojekt „New Cheap Nature“ von Richard Schwarz/islandrabe fragt nach dem ideellen Wert von Kleidung und sucht nach einem neuen Umgang mit der Natur. Der dazugehörige Webshop bietet keine Waren zum Verkauf, sondern liefert Geschichten und Denkanstöße.

Wer am Nachmittag des 7. Dezember 2023 den Innsbrucker Patagonia Store betrat, dem fielen zwischen Outdoormode, Rucksäcken und Skibrillen auch Kleidungsstücke auf, die nicht in diese Umgebung zu passen schienen. Auf einer Kleiderpuppe, einem Verkaufstisch und einem Kleiderständer waren gebrauchte T-Shirts und Funktionsjacken präsentiert, Trikots und Kleider, Sommertops und Pullover. Kund*innen wunderten sich über manches im Sportumfeld fremdartige Teil oder erkundigten sich nach einem funktionellen Shirt. Doch spätestens beim Griff nach dem „Preisschild“ zeigte sich: Hier gab es nichts zu kaufen, aber viel mitzunehmen. Denn das Kunstprojekt „New Cheap Nature“, das für einen Tag seine Zelte im Geschäft aufgeschlagen hatte, fokussiert auf den ideellen Wert von Kleidung und darauf, Dinge wertzuschätzen, dauerhaft zu nutzen und nicht schnell gegen andere, neue auszutauschen. Auf den Schildern war dementsprechend nicht der Preis zu lesen, sondern das Alter des jeweiligen Gewandes und die Geschichte, die seine Träger*innen mit ihm verbinden.

Erinnerung zum Tragen

„New Cheap Nature“ geht auf das Jahr 2020 zurück. Damals folgte Richard Schwarz, der seine Arbeiten unter dem Namen islandrabe umsetzt, einer Einladung der EU-weiten Kulturvernetzung „MagiC Carpets“ zu einer Residency beim Kulturverein Novo Kulturno Naselje in Novi Sad. Aufgrund der Pandemie musste der Aufenthalt zwar abgesagt werden, doch das Projekt selbst fand im World Wide Web statt. Während des damals strengen Lockdowns lud er die Menschen in Novi Sad dazu ein, ein vielgeliebtes, vielgetragenes Kleidungsstück – bevorzugt ein T-Shirt – zu fotografieren und mit dem Foto auch die Geschichte einzubringen.

 

Warum, fragte er, zogen sie gerade dieses, vielleicht schon alte und abgetragene, Teil immer wieder aus dem Schrank? Wo und wann hatten sie es erworben oder von wem geschenkt bekommen? Welche Ereignisse und Menschen verbanden sie damit? Einsender*innen antworteten darauf mit Band-T-Shirts, die die eigene musikalische Karriere begleiteten oder an den Auftritt eines verehrten Stars erinnerten, mit Sportdressen von mehr oder weniger erfolgreich absolvierten Wettkämpfen, mit einer Bluse aus dem Schrank der Großmutter und anderem mehr. Die eingegangenen Erzählungen und Bilder sammelte Schwarz und berechnete auch die Energie, die durch die lange Nutzung der Kleidungsstücke eingespart worden war.

Der Wert der Kleidung

Indem „New Cheap Nature“ die Aufmerksamkeit auf besonders wertgeschätzte anstatt auf teure oder modische Kleider lenkt, zeigt das Projekt einen Weg auf, unsere Beziehung zur Natur neu zu denken. Als „verantwortungsvoll, ressourcenschonend und wertvoll“ beschreibt Richard Schwarz die drei Säulen des Projekts. „Der Begriff ‚cheap nature‘/‚billige Natur‘ bezieht sich dabei auf das Verhältnis zur Natur, das die Menschen in den letzten Jahrhunderten entwickelt haben“, so Richard Schwarz. „Es ist dadurch gekennzeichnet, dass etwas, das keinen Preis hat, frei zu benutzen ist – im Grunde die Dinge, die wir Natur nennen. Mit diesem Projekt soll ein anderes und nachhaltigeres Verhältnis zur Natur gefunden werden – ‚New Cheap Nature‘“.

2021 und 2022 folgten Ausstellungen in Kaunas (Litauen) und im Innsbrucker Kunstort open space, weitere Kleidungsstücke und Geschichten wurden virtuell gesammelt bzw. für die Präsentationen von den Besitzer*innen ausgeliehen. Der jüngste Teil von „New Cheap Nature“, den Schwarz im Patagonia Store vorstellte, ist der Webshop newcheapnature.com. Seit 8. Dezember 2023 sind die gesammelten Kleidungsstücke und ihre Geschichten auf der Website abrufbar, und auch wenn man die Waren nicht bestellen kann, ähneln Aufbau und Design der Seite einem gängigen Online-Shop.

 

Auf den ersten Blick scheint das der Intention, einen anderen Umgang mit Natur zu pflegen, entgegenzulaufen. Schließlich ist das Surfen im Netz eine verschwenderische Angelegenheit: Beim Öffnen einer Seite werden normalerweise Dutzende hochauflösende Bilder und Animationen geladen, Videos automatisch gestartet, Nutzer*innen zu weiteren Klicks angeregt. Webseiten sollen „möglichst polished sein und den neuesten Trends entsprechen, Trends, bei denen Nachhaltigkeit kaum eine Rolle spielt“, sagt Marie Dvorzak, die als Expertin für Medientechnik und Informationsdesign Richard Schwarz beim Entwurf von newcheapnature.com unterstützte.

Wie gestaltet man einen Webshop ressourcenschonend?

Soll hingegen eine Website wie newcheapnature.com möglichst sparsam funktionieren, muss man bei der Planung sehr früh bestimmte Designentscheidungen treffen. Im Menüpunkt „Dokumentation“ des Webshops ist aufgelistet, was ihn von anderen unterscheidet: Die Programmierung erledigten Schwarz und Dvorzak von Grund auf selbst, also ohne Framework, was die Abhängigkeit von Drittanbietern reduziert. Sie verwendeten Systemschriften, die auf den Computern der User*innen vorhanden sind, vermieden JavaScript-Animationen und komprimierten die Bilder mittels Dithering. Die Technik stammt aus den 1970er-Jahren, als Rechner nur wenig Arbeitsleistung und Speicherplatz hatten und Bilder bei geringer Datenmenge trotzdem noch gut erkennbar sein mussten. Der Vintage-Look mit dem typischen Graustufenmuster ist bewusst gewählt. Er vermittelt auf Anhieb, wie minimalistisch hier gestaltet wurde. Und noch zwei andere Besonderheiten führen Nutzer*innen vor Augen, wie man den Energieverbrauch senkt. Der Webshop ist nur wochentags von 14 bis 8 Uhr geöffnet, wenn laut APG Powermonitor der Stromverbrauch in Österreich geringer ist. Und ein Insert fordert dazu auf zu entscheiden, ob man einen Klick tatsächlich ausführen will oder nicht.

Der Gewinn: Zeitwohlstand

Richard Schwarz hofft, dass so „eine Geschichte entsteht, ein Nachdenken darüber, wie digitale Infrastruktur genutzt wird, und eine Erfahrung, wie es anders sein könnte“. Im besten Fall hilft die Gestaltung des Webshops dabei, das eigene Online-Verhalten zu ändern und daraus einen immateriellen Gewinn zu ziehen. Hier trifft sich die Idee von „New Cheap Nature“ mit einem Gedanken von Patagonia-Gründer Yvon Chouinard, der seit je für den verantwortungsvollen Umgang mit Ressourcen eintritt. In seinem Buch „The Responsable Company“ schreibt er: „In einer Welt des Postkonsums werden die Waren wahrscheinlich teurer werden, um ihre wahren sozialen und ökonomischen Kosten widerzuspiegeln, was uns dazu veranlasst, weniger zur Unterhaltung einzukaufen. Das ist gar nicht so schlecht.“ Der Nutzen daraus, meint Schwarz, „ist so etwas wie Zeitwohlstand. Das ist vielleicht schwer zu verkaufen, aber es ist eine schöne Botschaft.

Esther Pirchner

geboren 1967 in Innsbruck, ist Autorin, Lektorin und Journalistin mit Schwerpunkt Kultur. Sie verfasst Ausstellungs- und Katalogtexte, unter anderem „Mit aller Kraft – Klima, Gletscher, Kaunertal“ (2021) für den Naturpark Kaunergrat, „Der Turm der Erinnerung“ für das Südtiroler Landesmuseum Schloss Tirol (2016) und seit 2010 regelmäßig für den erbe kulturraum sölden (Kurator*innen: Petra Paolazzi, Niko Hofinger), außerdem Programmtexte für das Haus der Musik Innsbruck u. a. Als Buchautorin veröffentlichte sie unter anderem 2023 „Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen!“ mit Milena Prommegger, 2021 „Vom Stadtl zur Stadt. Kufstein im 21. Jahrhundert“ mit Richard Schwarz und 2018 „Das jüdische Innsbruck“ mit Niko Hofinger und Sonja Prieth.

Geschichten statt Preisen waren auf den Schildern der Kleidung zu lesen. © Daniel Jarosch

Der „Verkaufstisch“ von „New Cheap Nature“ als Teil des Patagonia Store Innsbruck, Richard Schwarz in historischer Adidas-Jacke (2. v. li.) © Daniel Jarosch

Richard Schwarz im „Verkaufsgespräch“ mit Kund*innen. © Daniel Jarosch

Screenshot: Webshop closed © Esther Pirchner

Screenshot: Webshop open © Esther Pirchner

#newcheapnature © Klimakultur Tirol