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Agents of Change

Transformative Kommunikator*innen in der Klimakrise. Ein Aufruf an uns alle!

Das mit der individuellen Verantwortung ist so eine Sache. Zu leicht lässt sich Verantwortung auf Unternehmen, die Wirtschaft oder die Politik abschieben. In Anbetracht der sich ausdifferenzierenden Medienlandschaft und allgemeinen Informations(über)flut(ung) wird es immer schwerer, Navigationshilfen durch den Dschungel von Produkten und Serviceleistungen zu finden. Zwar helfen hier Fairtrade Labels, Schlüsselworte wie „bio“, „fair“ oder der berühmt gewordene CO2-Fußabdruck, unterstützt von entsprechenden Werbeclaims. Sie teilen uns mit, dass nun beispielsweise sogar unser Bier nachhaltig ist. Sie sind Kommunikationsangebote, in denen unter anderem auch Nachhaltigkeit zu einem handlungsleitenden Prinzip geworden ist. Dennoch fehlt es an etwas ganz Zentralem: Leitfiguren; den Menschen, die mit gutem Beispiel vorangehen – und zwar direkt in der Nachbarschaft, am Arbeitsplatz, an der Uni oder im Sportverein.

 

Transformative Kommunikator*innen – so wollen wir sie nennen. Doch wer sind sie, oder besser: Wer hat das Potenzial zum ‚agent of change‘? Dafür wollen wir einen Blick in die Literatur zu transformativem Journalismus und ‚transformational communication‘ wagen, um ein klareres Verständnis von agency, advocacy und authorship herauszuarbeiten; dies sind, so die These, drei zentrale Charakteristika eines change agents, der bzw. die dabei dann auch nicht immer ein*e professionelle*r Kommunikator*in sein muss!

Journalismus neu?

Die Journalismusforschung beschäftigt sich seit ihrem Bestehen mit den Fragen: Was ist ein*e Journalist*in? Was ist seine bzw. ihre gesellschaftliche Funktion, was sind die Aufgaben und vor allem was die Rolle und der entsprechende normative Rahmen? Diese Fragen werden aktuell immer wieder angeheizt durch medientechnische Entwicklungen und den zunehmenden ökonomischen Druck, der ethisches und damit normgeleitetes Handeln oftmals erschwert. Hinzu kommen die multiplen Krisenszenarien, in denen wir gerade stecken. So entsteht in Anbetracht von Handeln, das von Demokratie, der Einhaltung von Menschenrechten oder auch dem Schutz unseres Planeten abweicht, nicht zu Unrecht die Frage, ob der journalistische Grundsatz der Objektivität und Meinungsfreiheit immer so einfach einzuhalten ist. Überlegungen zu neuen Formen von Journalismus sprechen hier von konstruktivem Journalismus oder auch Advocacy Journalism. Was bedeuten diese Alternativen zum auf Objektivismus ausgerichteten Journalismus?

Kommunikator*innen als Anwält*in einer guten Sache

Der so genannte anwaltschaftliche Journalismus bzw. ‚Advocacy Journalism‘ wird definiert als ein spezielles Muster der Berichterstattung, bei dem Journalist*innen die Neutralität ‚aufgeben‘ und eine bestimmte Meinung vertreten – speziell bei der Darstellung von Standpunkten, die in den Medien unterrepräsentiert sind oder denen der Zugang zu Medien fehlt. Etwas weiter gefasst sprechen Medien(ethik)expert*innen aber auch von Diskursanwaltschaft, in der die Rolle von Journalist*innen als Kurator*innen beschrieben wird, die dafür sorgen, dass in einem Themenfeld oder öffentlichen Diskurs eben auch die Argumente gehört werden, die nicht die gleiche Medienrepräsentanz und damit Aufmerksamkeit bekommen wie andere. Im Falle der Klimakrise findet dies zunehmend statt: Selbstreflexionen zur eigenen Rolle als Anwält*in werden wissenschaftlich, aber auch im Journalismus selber betrieben, dazu gehört zum Beispiel das Netzwerkes Klimajournalismus (in Deutschland oder in Österreich).

Dabei kommt auch ein zweites Konzept ins Spiel: das des konstruktiven Journalismus oder ‚Solution Journalism‘. Ausgewählt und präsentiert werden positiv ausgerichtete Nachrichten, d. h. lösungsorientierte, zukunftsorientierte und damit ‚konstruktive‘ Themen bzw. Darstellungsformen. Ein Beispiel wäre die Sparte gute Nachrichten der Zeit oder auch die Zukunftsplattform der taz.

Kommunikationsrebell*innen und Campaigner

Diese Entwicklungen im Bereich Journalismus haben auch in anderen Kommunikationsbereichen Praktiker*innen, aber auch Forscher*innen angestiftet, beispielsweise über die Rolle von PR-Schaffenden und Kommunikationsstrateg*innen nachzudenken. Hier sind die Entwürfe von PR als ‚Rebellion‘ oder auch Transformativer PR aber noch nicht so weit ausgereift. Aus beiden Perspektiven betrachtet ist dennoch klar, dass immer neue Kommunikator*innen-Rollen entstehen – nicht nur, aber vor allem an der Schnittstelle von Journalismus und Kommunikationsmanagement, der PR (Public Relations). Dazu gehören Webpublisher oder auch Influencer und andere Kommunikator*innen, die weder dem Journalismus noch der PR klar zugeordnet werden können.

 

Dies trifft sich erstens mit den Überlegungen von Thorsten Schäfer und Michael Brüggemann (Darmstadt/Hamburg), die „transformativen Journalismus“ konzeptualisieren. Eine Grundidee ist es, dass es auf der einen Seite den „normalen“, informationsbasierten Journalismus geben muss, es darüber hinaus aber eben wichtig ist, neue Formen auszuprobieren und auch entsprechend neue Wege zu gehen und damit über eine rein objektive Wiedergabe von Wirklichkeit hinauszugehen, emotionaler zu werden, neue Erzählungen zu wagen und für diese auch langfristig einzustehen. Und hier kommen auch neue – transformative – Akteur*innen ins Spiel.

Charakteristika transformativer Akteur*innen

Dies bedeutet aber auch zweitens, dass es neue Rollen gibt, deren transformatives Potenzial oftmals unterschätzt wird. Transformative Akteur*innen haben oft andere Funktionsbereiche, die nicht immer direkt dem Kommunikationsbereich zugeordnet werden. Dazu gehören eben nicht nur Podcaster, freie Texter*innen oder Influencer, sondern auch Künstler*innen, Schriftsteller*innen, Organisator*innen von Protesten oder sozialen Hilfsorganisationen, aber auch Kurator*innen eines Museums oder etwa Veranstalter*innen eines Sommerkinos. Was macht sie aus?

  • Agency: Agency ist ein Begriff, der aus den Sozialwissenschaften stammt und prinzipiell jeden Menschen als ‚agent‘, als eine*n Handelnde*n begreift. Agency als Charakteristikum transformativer Akteur*innen meint damit die Befähigung zu handeln, das Bewusstsein der eigenen Handlungsfähigkeit bzw. Handlungsmächtigkeit.
  • Advocacy: Wie bereits weiter oben als ‚advocacy‘ Journalismus beschrieben, ist advocacy die öffentliche, artikulierte Unterstützung eines bestimmten Plans, einer Idee, eines Argumentes bzw. einer Erzählung (eines bestimmten Narrativs) oder einer Handlung (z. B. ein*e Advokat*in für Menschenrechte).
  • Authorship: Aus den oben geführten Überlegungen zu neuen, ‚post-normalen‘ Formen des Journalismus und der PR sowie neuen Rollen von Kurator*innen öffentlicher Diskurse lässt sich weiter ableiten, dass ein ganz zentrales Element von Transformation neue Erzählungen sind: Erzählungen (Narrative) der Nachhaltigkeit, Regeneration, eines balancierten Mensch-Natur-Verhältnisses, aber auch Alternativen zur kapitalistischen Marktwirtschaft. Ein zentrales Kriterium transformativer Akteur*innen ist es also, inwieweit die Autor*innenschaft für eine dieser Erzählungen übernommen wird.
info

Zusammengedacht: Nach einer generellen Befähigung eine Erzählung zu entwerfen (agency) und dem Einsatz für die gute Sache (advocacy), geht es zusätzlich auch um ein nachhaltiges Einstehen für die Meinung und das Auf-Dauer-Stellen einer bestimmten Erzählung. Dies soll hier als ‚authorship‘ bezeichnet werden.

Du und ich als transformative Akteur*innen

Agency, advocacy, und authorship sind also drei Charakteristika, die einen agent oder curator of change, eine*n transformative*n Akteur*in ausmachen. Wichtig ist aber nun vor allem zu bedenken, dass es eben nicht (nur) Journalist*innen und wahlweise strategische Kommunikator*innen sind, die diese Eigenschaften haben bzw. haben sollten – vor allem in Anbetracht der Klimakrise. Ganz im Gegenteil. Oft sind es eben ganz andere Rollen, in denen agency oder advocacy ein handlungsleitendes Prinzip darstellen. Zwei Beispiele:

 

Y., eine Künstlerin, die, nachdem ihre Schwester an einem durch Umweltgifte verursachten Krebs verstorben ist, jedes Kunstwerk und jede Ausstellung nutzt, um auf die Verschmutzung lokaler Gewässer durch ansässige Firmen aufmerksam zu machen.

 

F., eine passionierte Dozentin, die an der Uni Studierende über facebook (#iSustain) ein eigenes Verständnis von Nachhaltigkeit und in der Diskussion authorship für die eigenen Narrative der Nachhaltigkeit entwickeln lässt (1).

 

Zuletzt ließe sich hier die Diskussion um so genannte green skills und deren Notwendigkeit bzw. die Frage anschließen, ob Kommunikationsskills zu den green skills gehören, und welche Rolle Lehrer*innen an Schulen, Unis und in Weiterbildungen spielen; dies wird aber in einem gesonderten Beitrag behandelt. 😊

Franzisca Weder

Univ.Prof.Dr.habil Franzisca Weder, Wirtschaftsuniversität Wien

Department of Business Communication

Arbeitsbereich: International Organizational & Sustainability Communication

Kontakt: Franzisca.Weder@wu.ac.at

(1)© Franzisca Weder

© Markus Spiske, unsplash