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Eine künstlerische Brise in Bschlabs

Zum ersten Mal fand heuer medienfrische Bschlabertal, ein Festival für Neue Medien und experimentelle Kunst, statt. Das Konzept setzt auf Nachhaltigkeit und zeigt schon bei der ersten Auflage viel Potenzial. Die Autorin Susanne Gurschler war als Artist-in-Residence mit dabei.

Ging es ums Bschlabertal, drehten sich die Meldungen in den letzten Jahren, ja Jahrzehnten, hauptsächlich um Überalterung, Abwanderung und Leerstand. Eines der am stärksten von Abwanderung betroffenen Täler in Österreich, hieß es immer wieder.

 

Oder es ging um die Hahntennjochstraße, sommers die kürzeste Verbindung zwischen Elmen im Lech- und Imst im Inntal, auf der es regelmäßig zu tödlichen Unfällen kommt. Die kurvenreiche, teils sehr schmale Straße ist bei Motorrad- und Sportwagenfahrenden dermaßen beliebt, dass es an sonnigen Wochenenden im ganzen Tal dröhnt. Im Dezember letzten Jahres aber gab es überraschende Nachrichten aus dem Hochtal.

medienfrisch ins Tal

In Bschlabs, dem Hauptort der Gemeinde Pfafflar, hatte sich ein Kulturfestival angesiedelt. (1) Vom 25. Mai bis 26. Juni 2022 wollte medienfrische ein Artist-in-Residence-Programm für Neue Medien und experimentelle Kunst veranstalten und lancierte dafür einen „Open Call“.

 

Als Autorin eine Woche dort zu verbringen, für ein eigenes Schreibprojekt zu recherchieren, zu dokumentieren und zu fotografieren, fand ich äußerst reizvoll. Die Jury fand das offensichtlich auch. Und so war ich vom 7. bis zum 14. Juni Artist in Residence im Weiler Boden, der zur Gemeinde Pfafflar im Bschlabertal gehört. (2)

 

Etwas mehr als 100 Einwohner*innen verzeichnet die Gemeinde. In Boden leben 43 Personen, im Hauptort Bschlabs 62. Es gibt im Tal keinen Supermarkt, keinen Kindergarten und keine Schule. Dafür viele Auspendlerinnen und Auspendler, viel Leerstand, viel Durchzugsverkehr und überschaubare Zukunftsperspektiven.

 

Genau hier setzten Initiator Daniel Dlouhy, seine Mitstreiterinnen und Mitstreiter vom Verein „Sous Les Pavés“ an. (3) Ein mehrwöchiges Kunstfestival sollte frischen Wind und neue Impulse ins Bschlabertal bringen, sich als Green Event Basic etablieren.

An einem Strang

Um so ein Festival zu verankern, braucht es den Rückhalt der Bevölkerung. Dlouhy präsentierte das Konzept dem Gemeinderat, sprach mit Vertreterinnen und Vertretern des Tourismusverbandes. Und er ging von Haus zu Haus, um Fragen zu beantworten und Unsicherheiten auszuräumen.

 

„Daniel hat an unsere Tür geklopft und uns erklärt, was die medienfrische sein möchte“, erzählt Ramona Lechleitner vom Bauernhof „Pabulariu“ in Boden im Gespräch. (4) Ihr Mann Christian und sie waren sofort angetan von der Idee, dass Kunstschaffende aus unterschiedlichen Regionen ins Tal kommen würden und die beiden halfen, wo es ging. Andere waren skeptischer, wenige reagierten ablehnend.

 

Sehr sympathisch: medienfrische suchte Kooperationen mit regionalen Anbieterinnen und Anbietern, bevorzugte deren Produkte, etwa bei Mineralwasser oder Bier (in Mehrwegflaschen). Damit bestückten sie unter anderem die selbst gebaute mobile Bar, die je nach Rahmenprogramm in Bschlabs oder Boden stand. Ein toller Treffpunkt für alle. (5)

Durch Kooperationen

Beherbergungsbetriebe in Bschlabs und Boden stellten ein Zimmerkontingent für die Künstlerinnen und Künstler zur Verfügung. Meine Unterkunft, das Gasthaus Bergheimat in Boden, versprühte den Charme der 1980er Jahre. Einfach und sauber. Ich fühlte mich pudelwohl, mag ich doch diesen etwas abgegriffenen Style. Retro, aber echt, ohne Schnickschnack.

 

Normalerweise leerstehende Gebäude dienten als Ateliers, Arbeits- und/oder Veranstaltungsräume. „Die Gemeinde Pfafflar hat uns großzügig Gebäude geöffnet. Wir konnten die alte Schule in Bschlabs und in Boden, das ehemalige Sägewerk für unsere Zwecke herrichten“, erzählt Dlouhy. (6) Als Mobiliar eingesetzt wurde in erster Linie, was in den Gebäuden zu finden war. Keine einmalige Sache: Die Häuser sollen auch bei weiteren Auflagen der medienfrische genutzt werden.

Weniger Mobilität

Wie das Team überhaupt darauf achtete, Vorhandenes zu nutzen und in einer vom Verkehr geplagten Region möglichst wenig neuen zu produzieren. Wir Künstlerinnen und Künstler wurden angehalten, mit öffentlichen Verkehrsmitteln anzureisen oder Fahrgemeinschaften zu bilden. Für die Dauer des Aufenthalts gab es vom Tourismusverband Elbigenalp zudem die Aktiv Card Lechtal. Damit konnten wir die Öffis kostenlos nutzen.

 

Ein abgelegenes Hochtal ist natürlich kein urbanes Zentrum. Je Richtung nur vier Mal am Tag fährt der Bus durchs Bschlabertal. Das ist für Stadtmenschen wie mich etwas gewöhnungsbedürftig. Aber ich habe schon lange keine so entschleunigten Tage mehr erlebt. Das Auto stand eine Woche still, das Handy hatte in Boden keinen Empfang, dafür funktionierte das Internet im Gasthaus perfekt. Und nichts habe ich vermisst (außer meinen Hund, aber das ist eine andere Geschichte)!

 

Dank Shuttledienst kamen wir zum Abendessen in Bschlabs und zu den medienfrische-Rahmenveranstaltungen. Fahrer Yannick Datzer, Architekt und Künstler, achtete darauf, dass der Bus immer bis auf den letzten Platz gefüllt war. Er erledigte auch einmal wöchentlich den Großeinkauf für das Frühstück im Selbstversorgerhaus Stern Lodge. Und in der Nacht hing der E-Bus an der Steckdose des Gasthauses in Boden. Ja, es gibt tatsächlich eine private E-Tankstelle in Boden!

Müll vermeiden

Verköstigt wurden wir abends im Gasthaus zur Gemütlichkeit in Bschlabs. Vegetarisches gab es auch, beim Veganen haperte es. Dafür erwies sich der Gastwirt als umsichtiger Planer: Lieber legte er mehrmals nach, als zu viel aufs Buffet zu packen. So fielen kaum Speisereste an. Gerade in der Gastronomie ein leider virulentes Thema.

 

Was mir als Städterin, mit einem Sortiment verschiedener Mülltonnen im Hof, auch auffiel: Im Bschlabertal wird nur der Restmüll von der Müllabfuhr geholt. Anderer Abfall muss getrennt und in eigenen Säcken zum Recyclinghof gebracht werden. Der Mitarbeiter im Recyclinghof sortiere schon einmal nach, wenn man zu nachlässig sei, erzählte mir Daniel Dlouhy.

Verankerung im Ort

Sehr gut funktionierte der Austausch mit den Einheimischen, die großteils neugierig auf die „Residencies“ reagierten. Einige brachten sich aktiv ein, packten mit an. Sie halfen beim Aufbau des Festzelts, stellten Werkzeuge zur Verfügung, übernahmen den Bardienst in der mobilen Bar, halfen, wenn Not „am Mann“ war oder gaben bereitwillig Auskunft über die Geschichte des Ortes, der Gebäude, der Kirche (7) – und überhaupt.

 

Einige Bschlabertalerinnen und Bschlabertaler gestalteten das Rahmenprogramm mit. Ob historische Wanderung, Schnapsverkostung oder gemeinsames Abendessen, aufgetischt von den Bäuerinnen, – viele Gelegenheiten, ins Gespräch zu kommen. Lesungen, Konzerte, Theater, Performances, Vorträge und Kinovorstellungen sorgten für urbanes Feeling im Hochtal und stießen auf reges Interesse.

Mit Rücksicht

Zum Wohlwollen beigetragen hat sicher, dass wir uns rücksichtsvoll in der Landschaft bewegten. Ein Aspekt, der dem Orga-Team auch besonders wichtig war. Zur Einführung gehörte unter anderem, dass ungemähte Wiesen tabu sind, kein Müll liegengelassen werden soll und das Baden im Bach zwar nicht stört, aber bitte ohne Seife und Shampoo!

 

Wer einmal im Bschlabertal war, weiß, dass die Natur dort den Ton angibt. Entsprechend breit war das Spektrum der künstlerischen Auseinandersetzungen, die jeder und jede auf den Social-Media-Kanälen von medienfrische mitverfolgen konnte: Die Artists in Residence nahmen den Klang der Natur auf, arbeiteten mit Materialien, die sie vor Ort fanden, stellten Objekte in die Landschaft, kleideten den Hölltalbach ein (8), machten sich auf die Spuren der Bschlabertaler Fabelwesen, vermaßen die Landstraße (9), bespielten den Swimmingpool der Bergheimat (10) oder entwickelten ein „Perfum de Bschlabs“ – um nur einige zu nennen.

Ein Resümee

Meine Woche im Bschlabertal ist, ich kann es nicht anders sagen, wie im Flug vergangen.

 

Kaffeesud lesen möchte ich nicht, aber medienfrische hat alle Zutaten, die ein erfolgreiches Festival braucht: ein äußerst engagiertes Team, ein stimmiges Konzept, das die Bevölkerung, die Umgebung miteinbezieht – und viele Ideen, wie das Festival sich weiterentwickeln kann, auch in Richtung noch mehr Nachhaltigkeit.

Susanne Gurschler

Studium der Germanistik und gewählter Fächer in Innsbruck, freie Journalistin und Autorin. Schreibt Beiträge und Reportagen für Magazine, Sammelbände, Jahrbücher und Kataloge und verfasst Sachbücher. Zuletzt erschienen: „Handwerk in Tirol. Wo Können auf Leidenschaft trifft“, „Zwei Bühnen, acht Mal Kultur”, Reihe Kulturorte Nr. 3 (beide Tyrolia Verlag) und „111 Orte in Osttirol, die man gesehen haben muss“ (Emons Verlag).

susannegurschler.at

(1)medienfrische Eröffnung © medienfrische

(2)Der Weiler Boden war neben Bschlabs Austragungsort der ersten Auflage von medienfrische. © Susanne Gurschler

(3)Mit einem engagierten Team setzte Filmemacher Daniel Dlouhy die Idee eines Festivals für Neue Medien und experimentelle Kunst um. © Susanne Gurschler

(4)Ramona Lechleitner und ihr Mann waren von Anfang an begeistert von der Idee, im Bschlabertal ein Kunstfestival durchzuführen. © Susanne Gurschler

(5)Im Rahmenprogramm gab's unter anderem Kinovorstellungen, Lesungen, Performances, Theater – und Erfrischungen an der mobilen Bar. © Susanne Gurschler

(6)medienfrische nutzte Leerraum und adaptierte das ehemalige Sägewerk in Bschlabs als Kinosaal. © Susanne Gurschler

(7)Der Künstler Hannes Ludescher bespielte die Kirche und die Feuerwehrhalle im Boden mit seinen Installationen © Susanne Gurschler (links). Zum Abschluss der ersten medienfrische im Bschlabertal gab es ein Konzert mit Manu Delago in der Kirche Bschlabs © medienfrische (rechts).

(8)Der Medienkünstler Markus Guschelbauer befasste sich mit dem Fundaisbach. © Markus Guschelbauer

(9)Performancekünstler*innen der Akademie der bildenden Künste Wien bei der Eröffnung am 25. Mai 2022. © medienfrische

(10)Der leere Swimmingpool des Gasthauses Bergheimat eignete sich perfekt für die Videoarbeit zum Bschlabertal von Vanessa Hafenbrädl und der Performance von Pille-Riin Jaik. © Susanne Gurschler

Bei der Eröffnung am 25. Mai 2022 war unter anderem die Musikkapelle Elmen dabei. © medienfrische

medienfrische Eröffnung am 25. Mai 2022 © medienfrische

medienfrische Eröffnung am 25. Mai 2022 © medienfrische

Die Diametrale Filmresidency in der Woche 14. bis 21. Juni. © Diametrale

medienfrische Eröffnung © medienfrische