Inspirieren

The Art of Activism – Achtsamkeit im Aktivismus

Vor zwei Jahren hat sich Theater konkret auf Recherche begeben und gemeinsam mit Aktivist*innen von Fridays4Future und Extinction Rebellion eine Performance erarbeitet. Tatsächliche Erlebnisse aus dem aktivistischen Alltag und dramatisierte Situationen wurden in einer Stückfassung verdichtet. So entstand die Performance “The Art of Activism” – diese sei hier Grundlage der Reflexion und Analyse.

Erster Akt

Toni ist Aktivist*in und bereitet die nächste Demo vor: Toni telefoniert mit den Behörden und chattet zeitgleich in der Signalgruppe, um Begleiter*innen für den Briefing-Termin in der Landespolizeidirektion zu finden. Die Presseaussendung für den nächsten Protest ist in Arbeit.

 

Eli platzt ins Zimmer. Für die Demo ist einiges auf der To-Do-Liste. Eli kann und will die Orga nicht allein machen. Toni übernimmt das Malen der Transparente, die Einteilung des Ordnerdienstes, Anmeldungen – und so einen Großteil dessen, was vor einer Kundgebung zu organisieren ist.

 

Jo tappt weinend auf die Bühne; sie/er hat Migräne und ist kraftlos, schleppt sich mühevoll an den Schreibtisch und bricht dort zusammen. Toni schaltet um und geht auf Jo ein: Ich bin ganz für dich da. Versuche zu entspannen. Aktivismus ist kein Job, Aktivismus ist eine Lebenseinstellung. Mensch ist sich seiner Verantwortung als moralisch und ethisch handelndes Wesen bewusst, erkennt und spürt strukturelle Defizite, erspürt eben Missstände, Ungerechtigkeiten und mangelnde Wertschätzung – verarbeitet diese nicht bloß analytisch.

 

Leo platzt herein. Siehst du nicht, was hier wichtig ist? Leo zischt zwischen den Zähnen: Die PowerPoint-Präsentation für den Semesterabschluss hat bis morgen Früh fertig zu sein. Franziskus ist ausgefallen, Toni müsse dessen Pensum übernehmen. Morgen um 10 in der Uni!

 

In den ersten Szenen dieser Stückentwicklung sollen unterschiedliche Ebenen umrissen werden, die den Alltag von Aktivist*innen beschreiben. Da ist die der Klimazerstörung (Organisieren der Demo), die der Ausbildung und Zukunft (PowerPoint zum Semesterabschluss: Lebensplan, Bildung, persönliche Zukunft), und auch noch die der Freund*innen (in dem Fall der/die kranke Jo).

Outcome und Konsequenzen

Gewerkschaften wurden nicht von Unternehmen gegründet, sondern von mutigen Arbeiter*innen mit zivilem Ungehorsam. Apartheidpolitik und Diskriminierung wurde nicht von der herrschenden Klasse bekämpft, sondern von Betroffenen und empathischen Bürger*innen. Es waren Menschen mit zivilgesellschaftlichem Engagement und Weitblick, die sich – aus der Sicht von heute zu Recht und oft erfolgreich – gewehrt haben. Viele Kämpfe haben Jahrzehnte gedauert. Aktivist*innen erfahren eine unglaubliche Stärkung des Selbstbewusstseins, auf vielen gesellschaftspolitischen Ebenen tätig und wirkungsmächtig zu sein – das gibt ein intensives Lebensgefühl. Aber hier verbirgt sich die große Gefahr, ausgelaugt und verbrannt zu werden. Wer auf diese Weise tätig ist, trägt ein hohes Burn-out-Risiko mit sich.

 

Burn-out als Syndrom der emotionalen Erschöpfung, der Ineffizienz, aber auch mit Symptomen von massiver Beeinflussung des Gesundheitszustandes. Die hohe Identifikation mit Fiktionen und Visionen führt zur kompromisslosen Selbstausbeutung. Es geht immer weiter, es gibt keine Pausen. Keine Zeit für so etwas Banales wie schlafen, essen, emotionalen Ausgleich oder Abgrenzung.

 

Eine Verbundenheit zu anderen Menschen, die sich für die gleiche Sache einsetzen; und eine Verbundenheit zur Welt, zu einer sinnvollen Koexistenz von Natur und Mensch – das ist das Schöne am Aktivismus. Die Gruppe selbst ist aber dennoch keine heile Insel, da gibt es Wettbewerb, Eifersucht und Anfeindungen. Empathiemüdigkeit stellt sich ein und ist für die Betroffenen oft sehr deprimierend. Wo liegen hier die Ressourcen, wie erholen sich diese und spenden dann neue Energie? Diese Frage stellt sich immer deutlicher.

“Ich nehme mich nicht mehr isoliert wahr, sondern bin Teil von etwas Größerem, das mehr ist als ich allein bin, das so groß ist, dass ich es gar nicht fassen kann. Ich fühle die Verwirklichung einer Vision und einer sinnvollen Mission. Da sind meine momentanen, persönlichen Schwierigkeiten und Herausforderungen hintan zu stellen. Ich darf mich nicht so ernst nehmen.” (Zitat aus dem Theaterstück)

Zweiter Akt: Hört die Signale!

Chance auf Ablenkung, auf Selbstfürsorge, auf Innehalten. Die Verkörperungen hier sind “das Party-Girl” und Mandy, die Yoga-Freundin.

Das Party-Girl hat “Moves” einstudiert und will Toni zum Mitmachen animieren. Das Party-Girl will Jo, der/die immer noch schmerzverkrampft auf dem Bett liegt, mit Wodka therapieren und überreden, zu einer Party mitzukommen – dann würde auch die Migräne schnell verschwinden.

 

Mandy, mit Yogamatte unterm Arm, möchte endlich die nächste Lektion praktizieren. Sie breitet die Matte aus und empfiehlt Entspannungsübungen, die auch bei Migräne helfen könnten. Toni macht einfach mit, bis ihr/sein Bruder anruft. Dieser möchte schnell vorbeikommen, würde auch nicht lange bleiben, und komme nur ganz kurz hoch. Mandy will keine Handy-Schwingungen im Raum. Toni schaltet das Handy aus.

 

Die angedeuteten Signale zielen dramaturgisch in zwei Richtungen: in die des unkontrollierten Loslassens in Person des “Party-Girls” und in die der kontrollierten, bewussten Entspannung in Person von Mandy. Die Methoden sind konträr, bezwecken aber das gleiche: Time-out! Pause! Innehalten! – Oder: Den Druck wie auch immer abbauen.

Gefühle sind da, um gefühlt zu werden

Kraft und Energie fließen immer mehr in Organisation und Kontrolle von Tonis intensivem Alltag. Gefühle haben da keinen Platz mehr. Toni kann nicht mehr abschalten, sich nicht mehr abgrenzen. Es arbeitet weiter. Gefühle geben jedoch klare Hinweise, so sie zugelassen werden. Wenn nicht, suchen sie sich andere Wege. Wut und Aggression sind starke Antriebskräfte. Hier eine Balance zwischen Fokussierung und Entspannung zu finden, ist die nächste Herausforderung, die wache Aufmerksamkeit braucht. Beherrschung hat ihren Preis.

 

Aktivist*innen leisten Unglaubliches an zivilgesellschaftlich relevanter Arbeit – und vernachlässigen dabei oft ihre Selbstfürsorge. Ist die Grenze der Belastbarkeit überschritten, sind die Folgen unabsehbar: Vom Krankenhaus aus lässt sich nur wenig bewirken. Selbstfürsorge, das Wahrnehmen der eigenen Gefühle, liegen auch in der Verantwortung der Sache gegenüber. Dieser ist nicht gedient, wenn Menschen sich ausbeuten und verbrennen. Angst, Wut oder Traurigkeit – am liebsten würden solche Gefühle einfach verdrängt werden. Gefühle „verbinden sich mit anderen Gefühlen zu hartnäckigen Klumpen“ (Safi Nidiaye) mit unvorhersehbaren Auswirkungen. Es liegt an den Verflechtungen der Situation selbst, die nicht zulässt, hier einen Blick auf die Situation zu bekommen, zu reflektieren und mit sinnvollen und konkreten Maßnahmen gegenzusteuern.

 

In diesem Theaterstück sind tatsächliche Erfahrungen, Erlebnisse repräsentativer einzelner an der Realität entlang erzählt. Durch die formale Verdichtung soll die Aufmerksamkeit auf die Innenansicht von Aktivismus gelenkt werden. Auch um die unangenehmen Fragen zu stellen: Wo lenkt die Überidentifikation von anderen Mustern ab? Wann muss ich mir Müdigkeit, Fantasielosigkeit und Schlafstörungen eingestehen? Bin ich schon ausgebrannt? Das zerstörerische System, in dem wir leben, kann weder die Klimakrise stoppen noch irgendjemand irgendwie heilen.

 

Mit der Performance soll das Augenmerk genau auf die Gefahren und Herausforderungen von Aktivismus gelenkt werden. Der Sache ist nicht gedient, wenn sich Menschen bis zur kompletten Erschöpfung verausgaben. Psychohygiene ist wichtig und lernbar. Mitgefühl anderen gegenüber fällt viel leichter als auf sich selbst zu achten. Jedoch freundlich zu sich zu sein, sich selbst einzugestehen: Das tat eben weh! Ich kann nicht mehr! Selbstmitgefühl ist schwierig, aber wichtig. In ehrlichen Austausch mit anderen erkennen: Ich bin nicht allein, nicht isoliert in meinem Leid. Wir dürfen diese Gefühle nicht wegdrücken, nicht ignorieren.

Nachhaltiger Aktivismus

Die Performance lädt zu einem Ausblick ein: “Nachhaltiger Aktivismus ist (…) eine neue Art von Aktivismus mit dem Ziel, tiefgreifenden sozialen Wandel und persönliche Emanzipation durch ein langfristiges Engagement zu ermöglichen.” (Timo Luthmann in “Politisch aktiv sein und bleiben”). Nachhaltiger Aktivismus ist also ein Konzept, um Menschen bei der Entwicklung eines langfristigen politischen Engagements zu helfen und Nachhaltigkeit im eigenen Aktivismus zu erreichen. Es geht nicht darum, sich aus einer technokratischen Sicht fit zu machen. Es geht nicht um individuelle Selbstoptimierung. Es geht um die Erkenntnis, dass Selbstfürsorge für Menschen, die sich politisieren, unabdingbar ist. Es geht auch um Resilienzaufbau sowohl einzelner Aktivist*innen, als auch von Gemeinschaften und Bewegungen.

 

Dank an Juli, Jo, Elisa, Pat, Kili, Armin, Barbara und allen Menschen, die sich für dieses Projekt engagiert haben. (Namen sind teilweise Synonyme.)

Nik Neureiter

Seit seiner Ausbildung am Max Reinhardt Seminar in Wien steht er auf deutschen und österreichischen Bühnen: in Wien, Ingoldstadt, München, später dann in Weimar, Berlin, Hamburg, im Ruhrgebiet, Wien, Innsbruck und Salzburg. In Tirol war er auch bei den Volksschauspielen Telfs und bei freien Produktionen zu sehen. Ab Mitte der Neunziger drehte er für deutsche Serien und Spielfilme. Er dozierte an der europäischen Schauspielschule in Bruneck/Italien. Freiberuflicher Schauspieler, Regisseur, Moderator und zivilgesellschaftlich Engagierter.

 

Vater von einem Kind. Gründer und Obmann des Vereins Theater Konkret.

© Markus Spiske, unsplash

© Gabriel McCallin, unsplash

© Mika Baumeister, unsplash