Die Kunst kann ein Motor für unsere Vorstellungskraft sein, die Kultur als Türöffnerin zu Kommunikationsräumen fungieren. Darum geht es uns bei klimakultur.tirol und darum ging es auch am 30. Mai 2023 bei unserem 2. Treffpunkt Klimakultur: Wie können wir die Macht der Bilder nutzen, um uns eine gute Zukunft vorzustellen? Wie können wir Visionen visualisieren, damit sie für alle greifbar werden?
Rückschau 2. Treffpunkt Klimakultur
„Die Klimakrise ist eine Krise der Imagination“
– sagt der Umweltaktivist und Mitbegründer der Transition-Town-Bewegung Rob Hopkins. In seinem Buch “From What Is to What If: Unleashing the Power of Imagination to Create the Future We Want” (zu Deutsch: „Stell dir vor … Mit Mut und Fantasie die Welt verändern“) beschreibt der Autor, dass wir eine wesentliche Zutat im Kampf gegen die Klimakrise verlernt haben: die Vorstellungskraft. Nicht die fehlenden Lösungen sind unser Hemmschuh – denn die Lösungen gibt es bereits! –, sondern dass wir uns eine Welt, in der diese Lösungen Realität sind, nicht vorstellen können.
Und hier kommt die Klimakultur ins Spiel. Sie kann Bilder entstehen lassen, die sich auf kunstvolle oder aktivistische Weise mit der Zukunft in und mit der Klimakrise auseinandersetzen. Künstler*innen wie Jan Kamensky zeigen, was möglich ist, sie machen Veränderung vorstellbar und Wandel greif- und erfahrbar. Wir begrüßen den Hamburger „visuellen Utopisten“, wie sich Kamensky selbst nennt, am 30. Mai im WEI SRAUM Innsbruck.
Seit 2020 gestaltet er einzigartige Animationen, in denen er spielerisch die Umwandlung von autogerechten Straßen in menschenfreundliche Orte visualisiert. Auf humorvolle Art und Weise befreit er Straßen von Autos, Gleisen und Straßenschildern und pflanzt stattdessen virtuelle Bäume. Mittlerweile sind zahlreiche Animationen an unterschiedlichen Orten weltweit entstanden. Darunter sind Städte wie Paris, Tokyo, Lissabon, New York, Kigali, Brüssel, Wien und Riga. Unter den Auftraggeber*innen sind NGOs, Zeitungen, Ausstellungen und Städte. Kaum jemand fühlt sich nicht angesprochen – jede*r hat eine Meinung dazu, wie Straßenraum gestaltet werden soll.
Kamenskys utopische Herangehensweise trägt eine entscheidende Funktion: Nachdem die Betrachter*innen einen Blick auf die kontrastreiche Utopie haben werfen können, kehren sie mit einem geschärften Blick in die Realität zurück – eine Einladung zur Reflexion über die gegenwärtige Situation. Der 36-Jährige weist in diesem Zusammenhang auch auf die Macht der Träume und den Übergang derselben zur Realität hin, denn „ohne Träume, auch die der Zukunft, können wir nicht existieren“. Mit seinen „Unorten“ bzw. Utopien zeigt Kamensky Traumwelten auf, die es noch nicht gibt, und regt dazu an, das Träumen zu visualisieren und aufzuzeichnen.
Passend dazu liegen auf den Tischen vor den Gästen A3-große Papierbögen, die eine vom Straßenverkehr „bereinigte“ Version unseres Innsbrucker Marktplatzes zeigen. Während Jan spricht und im Hintergrund über den Beamer eine Auswahl seiner Clips läuft, laden die Buntstifte auf den Tischen dazu ein, sich inspirieren zu lassen und selbst eine Zukunftsversion des Marktplatzes zu visualisieren. Was braucht es dort, damit wir uns wohlfühlen? Wie stellen wir uns unsere Stadt vor?
Eine weitere Inspirationsquelle ist das Zukunftsbild vom Atelier für Zeitreisen, das an der Wand im hinteren Teil des Raumes angebracht ist. Dieses Zukunftsbild ist im Rahmen der Studie „Perspektiven Tirol 2030“ entstanden und kommt mittlerweile vor allem in Schulklassen zum Einsatz. Anhand von verschiedenem Unterrichtsmaterial können die Schüler*innen über Zukunftsthemen reflektieren, wie Raumnutzung und Klimawandel, Energiewende und Mobilität, Gesundheit, Tourismus, usw.
Wir müssen uns in der Vorstellungskraft und Fantasie üben, sagt Jan Kamensky, der von sich selbst auch als „professionellem Träumer“ spricht. Der Kunst kommt dabei eine essenzielle Rolle zu, denn das Erfahrbarmachen von Transformation macht gesellschaftlichen Wandel frühzeitig sichtbar, ist Kamensky überzeugt. Er will selbst Teil des Wandels sein – jedoch mit seinen Visualisierungen auf „heilsame Weise“ wandeln und nicht auf dystopische. „Change by design, not by disaster“ lautet daher das Motto, das uns – die klimakultur.tirol – mit Jan eint.
In seinem Vortrag weist Jan schließlich auch darauf hin, dass er mit seiner Arbeit unsere Sehgewohnheiten „entwöhnen“ will. Wir sind zum Beispiel gewöhnt, überall Autos zu sehen – Autos prägen unsere Sehgewohnheiten. Wenn wir etwa mit nur einem Wort den Begriff „Straße“ erklären müssten, welches würden wir wählen? Die Begriffe „Verbindung“, „Mobilität“, „Fortbewegung“ fallen im Publikum. Kamensky wirft ein, dass Fahrzeuge für ihn eigentlich wenig mit Mobilität zu tun haben, mehr sind sie eigentlich „Stehzeuge“, denkt man etwa an Staus oder die vielen parkenden Autos, die das Stadtbild einnehmen.
Im Anschluss blieb Zeit zum Austausch; Diskussionen wurden etwa zu folgenden Fragen angestoßen: Was ist denn eigentlich Freiheit? Welche Werte verbinden wir damit, und wo liegen unsere Prioritäten? Was ist die Komfortzone und was bedeutet für wen Komfort? Was brauchen wir für unser Wohlbefinden? Was ist Wohlstand?
Während einzelne Gäste noch an ihren Visualisierungen für den Marktplatz weiterarbeiteten, fanden sich im Foyer des WEI SRAUM Teilnehmer*innen zum geselligen Beisammenstehen und vertieftem Austausch zusammen. (Ein Dank an dieser Stelle an das Il Corvo – Cucina Popolare, das uns auch dieses Mal wieder mit regionalen und veganen Snacks verwöhnt hat!)
„Eine digitale Art der Exkursion“, fasste eine Stimme aus dem Publikum den Abend zusammen. Es sind umsetzbare Utopien – mit neuem Leben gefüllt –, die uns Jan gezeigt hat. Vom „visuellen Gärtner“ möchte er irgendwann zum richtigen Gärtner werden – bis dahin übt er im Digitalen.
Ausblick
Der nächste Treffpunkt Klimakultur wird im Herbst 2023 stattfinden. Hinweisen dürfen wir außerdem auf den Lehrgang „Kultur durch Nachhaltigkeit – Nachhaltigkeit durch Kultur“, den die Initiative klimakultur.tirol im Herbst anbietet.