Das Streetnoise Orchestra und die etwas andere Art zu demonstrieren
Noten statt Parolen
Das Streetnoise Orchestra (kurz: SNO) kann man weder übersehen noch überhören. In ihrem Dresscode – in knall-orange und -grünen Farben gehalten – und mit ihren brassigen Sounds sind sie laute Stimmungsmacher*innen und ein beliebtes Fotomotiv auf vielen Innsbrucker Demos.
Ich treffe mich mit zwei Mitgliedern, Christine Pichler und Leo Rauch, in einem Innsbrucker Bogencafé, um mehr über das Streetnoise Orchestra zu erfahren. Über uns vibrieren die Gleise, während ich wissen will, was sie antreibt, diese stets gut gelaunten, bunten und lauten Musiker*innen, die jede Demo in ein tanzendes Konzerterlebnis verwandeln. Viele von ihnen setzen sich auch außerhalb der Musik aktivistisch mit Themen auseinander, die ihnen unter den Nägeln brennen. Und das im wortwörtlichen Sinn: Einzelne sind Teil der Letzten Generation, die sich aus Protest auf die Straßen klebt, um mit ihrer unübersehbaren Anwesenheit auf die steigenden Temperaturen und den Klimawandel hinzuweisen.
Ich will wissen, wie das zusammengeht: Musik und Demonstration. Für Chrissy, die seit zirka sieben Jahren Mitglied ist, ist es eigentlich keine Frage: „Es ist einfach unsere Form des Aktionismus. Bei mir war es davor so, dass ich in Innsbruck schon öfters auf Demonstrationen war, wo viel parolisiert wurde. Ich dachte mir oft, ich steh zwar dahinter, was geschrien wird, aber ich kann nicht mitschreien. Dann hab’ ich einmal Streetnoise gehört und dachte mir: Das! Genau das! Und dann war ich dabei.“
Mehr Leute auf die Straße bringen
Leo musiziert seit zehn Jahren mit (also seitdem das Streetnoise Orchestra 2013 gegründet worden ist) und weiß, dass beim Gründungsgedanken zwei Dinge im Fokus standen: die Belebung des öffentlichen Raums und Menschen dazu zu bringen, bei Demos mitzumachen. „Unsere Absicht war, mehr Buntheit auf die Demonstrationen zu bringen, damit Leute, die sonst nicht auf Demos gehen würden, ein anderes Bild davon kriegen und sich auch trauen für ihre politische Meinungen einzustehen.“ Und Leo ist sich sicher, dass das funktioniert hat: „Zumindest kriegen wir laufend das Feedback, dass Leute lieber an Demonstrationen teilnehmen, wo wir auch dabei sind.“
Seit der ersten Demo für die Lockerung der Straßenmusikregelung in Innsbruck spielte das SNO über 300-mal auf und konnte live miterleben, wie sich die Demokultur veränderte. Diese sei in Innsbruck aktiver geworden, wie die zwei erfahrenen Musiker*innen feststellen. „Demos für Klimaschutz hat es damals, als wir angefangen haben, in Innsbruck noch nicht gegeben. Bei den Demos ging es anfangs meistens um Themen, die mit Flucht zusammengehangen sind. Das war so bis 2017 eigentlich ganz stark“, meint Leo und Chrissy ergänzt: „Auch die feministischen Themen und Innsbrucker Themen, wie leistbares Wohnen und Co. waren präsenter zu der Zeit als der Klimaschutz.“
Ich will wissen, wann sie sich entschieden haben, auch Klimademonstrationen zu unterstützen. Leo: „Ich glaube, angefangen hat es mit den Friday-for-Futures-Demonstrationen – mit dem Klimastreik. Wir sind angefragt worden, wie zu so vielen anderen Demos auch, und haben das natürlich unterstützt. Seit einem Dreivierteljahr ungefähr sind einige von unseren Mitgliedern auch privat, außerhalb von der Band, bei der Letzten Generation aktiv, weil das für einzelne Personen ein sehr wichtiges Thema ist und dadurch die Band auch einen starken Input bekommt. Es ist eh allen in der Band klar, dass das die größte Herausforderung der Menschheit ist und eine wahnsinnige Dringlichkeit dahinter steht. Dadurch, dass einige von uns auch außerhalb der Band aktiv sind, ist es ein bisschen näher als andere Themen, vermute ich.“ Auch für Chrissy war die erste Innsbrucker Klimademo 2019 mit zirka 20.000 Teilnehmer*innen etwas richtig Außergewöhnliches, das sie so noch nie erlebt hatte: „Da hatte ich so einen ‘Okay – was passiert da eigentlich?’-Moment, weil es das erste Mal war, dass so ein Überthema dahergekommen ist, das jede Bubble betrifft und wo alle einfach hingegangen sind.“
Demos werden vom SNO meistens nicht selbst organisiert – es wird hauptsächlich von Organisator*innen verschiedener Demonstrationen angefragt. Deshalb: Je dringlicher ein Thema in der aktuellen gesellschaftlichen Lage ist, desto wahrscheinlicher vermehren sich die Auftritte bei Veranstaltungen zu ähnlichen Themen. Eine Sache wird aber sehr wohl vom SNO selbst veranstaltet: Das Strafiato Festival – eine Mischung aus Spaß und Aktionismus. Die zwei Strafiato-Feste (2019 und 2023), die das SNO organisiert hat und bei dem zuletzt acht Activist Streetband Truppen aus ganz Europa aufgetreten sind, waren beide Male große Erfolge.
Eine der wenigen Streetbands in Österreich
Aber wie arbeitet das SNO eigentlich? Die Band nimmt sich als „Activist Streetband“ wahr, also eine Musikgruppe, die ohne Dirigent*innen und Noten auf der Straße aufspielt. In Österreich gibt es außer dem SNO noch eine Band in Graz, die ähnlich aufgebaut ist, nämlich das Masala Brass Kollektiv; und in Linz ist das GegenTonOrchester aktiv, das bereits seit 2009 besteht. Das SNO hat aktuell um die 20 aktive Mitglieder. Freiheit und Basisdemokratie sind die Stichwörter, um die herum und mit derer Hilfe sie ihre Band am Laufen halten. Welche Stücke gespielt werden, bei welchen Demos man auftritt, wie man mit Presseanfragen umgeht – alles wird am Mittwochabend bei der Probe im Bogentheater, wo sie ein Probelokal gefunden haben, besprochen und entschieden.
Mit Chrissy und Leo machen wir uns genau dorthin auf den Weg. Es ist sieben Uhr und wir gehen durch den Hinterhof in einen Bogen mit der Überschrift „Schlagzeugschule“. Einzelne Musiker*innen sind schon vor Ort, schrauben Instrumente zusammen, bereiten ihre Noten vor, spielen sich zwischen schwarzer Decke und schwarzem Boden gemütlich ein. Auf einem Sofa ölt jemand seine Trompete, in einer Ecke wird den verstorbenen Mitgliedern und Förderern erinnert, in der anderen stehen die Utensilien, Trommeln, Stöcke in Regale geräumt. Einzelne Plakate zu Demos und Festen hängen an den Wänden. Diesmal sind wenige bei der Probe – Sommerzeit –, sie stehen im Kreis und warten darauf, dass Leo etwas sagt, der heute die Probenleitung übernommen hat, womit sie sich in der Gruppe immer wieder abwechseln. Ich wippe mit, während linke, aktionistische Lieder gespielt werden. Sich dabei nicht zu bewegen, ist fast unmöglich. Auch die Musiker*innen stehen im Kreis nicht einfach steif da, sondern springen und hüpfen zur Musik, lassen sich treiben und lachen, wenn sie einen Einstieg verpasst haben.
Das Orchester in den vier Wänden des Probelokals mitzuerleben, fühlt sich augenblicklich unnatürlich an. Die Wände beben, obwohl gar kein Zug über den Bogen fährt. Man spürt: Diese Musik, dieser Elan, diese Energie gehören auf die Straße. Damit sie und ihre Botschaften von allen gehört werden können.
(* 1987 in Baja) ist eine in Österreich lebende ungarische Journalistin und Autorin. Sie arbeitete von 2013 bis 2022 beim Stadtblatt Innsbruck und ist aktuell als Öffentlichkeitsarbeiterin und Koordinatorin von “Kulturton” für FREIRAD tätig. Ihr Debüt erschien 2016 unter dem Titel ich dachte an siracusa – ein Kurzgeschichtenband mit 13 Erzählungen, das vom Wiener Verlag edition exil herausgegeben worden ist.