Das Kraftwerk in Mühlau ist zum Kunstort geworden – Ein Besuch im Rahmen der Tage der Klimakultur von Eva Siller und Anne Sausgruber.
Nachhaltigkeit durch Leerstand-Nutzung
In der Abendsonne sitzen zwei Personen auf einer Bank vor dem KG17, einem stillgelegten Wasserkraftwerk in der Kirchgasse Nummer 17 im Innsbrucker Stadtteil Mühlau. Im Hintergrund rauscht der Mühlauer Bach, der sich von der Nordkette herab ins Tal windet.
Wir treffen Gerhard Kerschbaumer, Techniker und Besitzer des Kraftwerks, und Helga Madera, Kuratorin des KG17 und Obfrau des Vereins kulturnetzTirol. Gemeinsam haben sie es sich zur Aufgabe gemacht, diesen Leerstand in lebendigen Raum zu verwandeln. Bereits im vierten Jahr in Folge bespielen sie den denkmalgeschützten Ort mit künstlerischen Projekten und laden Besucher*innen ein, diesen besonderen Raum neu zu entdecken.
Kunst und Wissenschaft im Einklang
Aktuell ist hier – am Rand von Innsbruck, im dörflichen Mühlau – die Ausstellung ULTRA | memoria cosmica zu sehen mit einer Installation des deutschen Komponisten und Konzeptkünstlers Tim Otto Roth. Anlässlich des 100-jährigen Jubiläums der Quantenmechanik widmet sich das KG17 in diesem Jahr der Physik. Unter der kuratorischen Leitung von Helga Madera wurde die alte Turbinenhalle des stillgelegten Wasserkraftwerks in ein klingendes Laboratorium transformiert. Das Projekt entstand in Kooperation mit der Universität Innsbruck und dem kulturnetzTirol.
Die Arbeitsweise Roths ist ein eindrucksvolles Beispiel für das Zusammenspiel von Kunst und Wissenschaft. Messdaten kosmischer Strahlung aus dem arktischen Eis werden in Licht und Ton übersetzt.
„Der Künstler greift kompositorisch ein, setzt Taktstriche, gestaltet Klangfarben und lässt zugleich den freien Fluss der Daten zu“, erzählt Madera.
Die Installation verweist auf die Entdeckungsgeschichte der kosmischen Strahlung am Innsbrucker Hafelekar und ist der Physikerin Marietta Blau gewidmet, deren bedeutende Leistungen in den 1930er-Jahren lange unbeachtet blieben. Die Sichtbarmachung von Frauen* in Wissenschaft und Kunst ist Madera ein besonderes Anliegen. Eine Podiumsdiskussion mit Vertreterinnen aus Naturwissenschaft und Kunst vertiefte dieses Thema und ist Teil des umfassenden Vermittlungsprogramms, das auch durch eine Exkursion zur Forschungsstation am Hafelekar ergänzt wird.
Mit diesem Projekt möchte Madera insbesondere jungen Menschen einen niederschwelligen Zugang zu komplexen Themen eröffnen. Führungen für Schulklassen sind daher ein zentraler Bestandteil der Arbeit im KG17 – einem Ort, der als wiederbelebtes Zeugnis der Elektrizitätsgeschichte neue Resonanzräume schafft.
Zwischen Turbine und Generator
Das Industriedenkmal aus dem Jahre 1906 ist eines von mehreren Kraftwerken am Mühlauer Bach und war, wie Gerhard Kerschbaumer betont, lange Zeit eine Kraftquelle – etwas das dem Haus bis heute innewohnt. Als das Kraftwerk aktiv war, versorgte es die darunterliegende Weyrer-Textilfabrik mit Strom. Doch was bleibt, wenn die Nutzung eingestellt wird? Meist Leerstand. Das allgegenwärtige Thema des Leerstands hat Kerschbaumer und Madera auch zusammengeführt. Auf der Reise zu einer Veranstaltung zum Thema Leerstandnutzung lernten sich der Diplomingenieur und die Architektin kennen, der Rest ist Geschichte.
Als Architektin ist Madera die Bedeutung der Baubranche für eine nachhaltige Zukunft bewusst: „Wir wissen ja, dass 60% der Abfallerzeugung aus dem Bauwesen kommt. Es ist ganz wichtig, dass wir die Abfallerzeugung reduzieren.“, erklärt Madera. Der bestehende Gebäudebestand in Österreich würde außerdem ausreichen, um die gesamte Bevölkerung zu versorgen, wenn man diesen sanieren, erhalten und besser nutzen würde.
„Deshalb braucht es Fantasie“, ergänzt Kerschbaumer. „Und genau deshalb ist die Nutzung von Leerständen so wichtig fürs Klima“, fügt Madera hinzu.
Diese Synergie aus Fantasie und verschiedenen Disziplinen wird im KG17 spürbar. Wie produktiv Verbindungen über Fachgebiete und Orte hinweg sein können, zeigt das kulturnetzTirol eindrucksvoll.
kulturnetzTirol – Aktivierung lokaler Synergien und junger Menschen
Das kulturnetzTirol, dem Helga Madera vorsteht, versteht sich als ein Forum für Kunst und Kultur, dessen Ziel es ist, Kunstschaffende zu vernetzen und zu fördern. Dabei ist die Sichtbarmachung des künstlerischen und kulturellen Schaffens in Tirol zentral. Die jährlichen Tage der offenen Ateliers bieten dabei die Möglichkeit zum Austausch und Kennenlernen.
Fünf Projekte des Vereins sind im Rahmen der Tage der Klimakultur zu sehen, drei davon mit Arbeiten von Kindern und Jugendlichen.. Die Vernetzung erstreckt sich dabei von Landeck im Oberland über Innsbruck bis nach Stumm im Zillertal. Im Folgenden ein Auszug aus den aktuellen Projekten:
- In der ZILLER Galerie in Stumm wird unsere Beziehung mit der Natur hinterfragt. Die Ausstellung Die Natur und ihre Geister[1] wurde durch die Tage der Klimakultur thematisch angestoßen und verhandelt anhand fünf künstlerischer Positionen, wie wir mehr auf unsere Umwelt hören können. Die ausgestellten Skulpturen und Malereien wollen Besucher*innen auf emotionaler Ebene für unserer Verantwortung gegenüber der Natur angesichts der Klimakrise sensibilisieren.
Info: ZILLER Galerie, Gemeindehaus Stumm, Zillertal / Ausstellungsdauer: 26. September – 14. November / Öffnungszeiten: Freitag & Sonntag, 16–19 Uhr
- Die Verbindung zur Jugend ist Helga Madera eine Herzensangelegenheit, wie auch beim Besuch im KG17 deutlich wird. Auf Maderas Einladung trauen sich auch ein paar vorbeigehende Jugendliche ins alte Kraftwerk. Diese Ambitionen sind auch im weiteren vielseitigen Programm sichtbar. Im Gemeindesaal Rietz wird die Ausstellung „Mit Stift und Fantasie durch die vier Elemente – Generationen gestalten miteinander“ am 18. und 19. Oktober 2025 gezeigt. Ausgehend von einem Kreativkurs für Kinder, unter der Leitung von Carmen Egger, der Mitbegründerin des Kulturvereins GRUND1535, wird in Kooperation mit dem kulturnetzTirol ein Austausch zwischen den Generationen geboten. Werke der „Rietzer Künstler*innen“ laden mit künstlerischen Arbeiten der Kinder zu einer Entdeckungsreise durch die Elemente ein.
Info: Eröffnung am 18.10. um 18.00 Uhr im Foyer des Gemeindesaals Rietz. Weitere Öffnungszeiten am Sonntag, 19.10.2025 zwischen 10.00 und 16.00 Uhr.
- Eine Entdeckungsreise gen All findet ab 16. Oktober in der Bezirkshauptmannschaft Landeck statt. kulturnetzTirol lädt in Zusammenarbeit mit Schüler*innen der MMS Paznaun zur Ausstellung Wunschorte im Weltall „Wenn plötzlich alles still wird auf unserem Planeten Erde. Wenn das Licht der Sonne nicht mehr für uns scheint, wenn die Gräser der Almen verblühen und die Bäche ihr Wasser verlieren – was bleibt uns dann noch?“ Dieser Frage nach hoffnungsvollen Imaginationen wird multimedial nachgegangen, unter anderem mit der Siebdrucktechnik.
Info: Die Ausstellung ist von 16.10.-17.11. 2025 während der Amtsstunden täglich von 07.30-12.00 Uhr (Mi und Do bis 16.00 Uhr) besuchbar.
- Die Siebdrucktechnik begleitet auch das Projekt „Das Klima in uns – das Klima um uns“ der Schüler*innen der 7. Klasse des Kunstzweigs am BORG Fallmerayerstraße. Gemeinsam mit den Künstler*innen Carmen Brucic und Ype Limburg werden Kleidungsstücke künstlerisch gestaltet. Diese lassen Gefühle und Stimmungslagen, unser inneres Klima, mit unserer gesellschaftlichen Umgebung und Umwelt, dem äußeren Klima, in Dialog treten.
Info: Am 21. Oktober werden bei einem Aktionstage in der Bäckerei Kulturbackstube die textilen Werke um 12:30 Uhr bei einem öffentlichen Fotoshooting präsentiert.
Auch im KG17 wird das nächste Jahresprogramm im Zeichen der Textilien stehen. Dabei sollen künstlerische Interventionen das Kraftwerk mit der flussabwärts gelegenen ehemaligen Textilfabrik verknüpfen. Wir bewegen uns nun ebenfalls flussabwärts Richtung Stadt. Das Plätschern des Bachs vermischt sich mit dem Nachhallen der Klänge aus der Halle. Es ist, als würden sich Fäden zwischen den Orten spannen: zwischen Wasser und Strom, Vergangenheit und Zukunft, Kunst und Klima.
Wie diese Verbindungen wirken können, beschreibt Helene Schnitzer im Playbook für Klimakultur: „Kunst kann verändern. Sie kann anecken, verstören, einladen, aufzeigen, vorzeigen, ausprobieren, spielen, spiegeln, scheitern, verweigern, Bilder entwickeln!“ Oder, wie es Helga Madera formuliert:
„Das emotionale und sinnliche Näherbringen ist die Möglichkeit der Kunst, auf dieser einfachen, fassbaren Ebene in solche Themen einzusteigen. Das kann die Kunst!“
Die Ausstellung „ULTRA | memoria cosmica“ im KG17 ist bis 24. Oktober Freitag und Sonntag von 16 bis 19 Uhr für Besucher:innen geöffnet. Finissage am 14. Oktober um 19 Uhr mit Schlusspräsentation und Gespräch
(geb. 2002) wuchs in Baumkirchen (Tirol) auf. Nach einer Ausbildung im Bereich Malerei und Design folgte das Studium der Kunstgeschichte in Innsbruck. Sie ist als Kunstvermittlerin und im Besucher*innenservice im TAXISPALAIS Kunsthalle Tirol tätig und daneben in der freien Kulturszene aktiv, in den letzten Jahren unter anderem bei der BALE Innsbruck und dem Verein kunst|stoff.
(geb. 2002) ist zwischen dem Tiroler Unterland und den Südtiroler Bergen aufgewachsen. Nach einer Ausbildung im Bereich Bildhauerei und Objektdesign widmete sie sich dem Studium der Kunstgeschichte in Innsbruck. 2025 hat sie die Meisterprüfung zur Keramikerin im Burgenland absolviert und ist als Fotografin und Grafikdesignerin tätig.