Was ein herrliches Bergpanorama! Nach vier Jahren in Australien erscheinen mir die Alpen heute noch viel höher. Sogar das grüne Ampelmännchen fährt Snowboard. Wunder Punkt! Ich würde ja wirklich gerne mal wieder Skifahren. Aber macht man das eigentlich noch?
Kommunikation für Nachhaltigkeit
Ist das nicht wie der Konsum von Fleisch oder auch Flugreisen eines der derzeit heiß diskutierten Themen in Bezug auf die Klimakrise? Eigentlich verweisen das Schnitzel oder der Kurzstreckenflug auf ein zentrales Phänomen aller Umwelt- und Nachhaltigkeitskommunikation: Das Thema ist zu groß und spannt sich über eine zu lange Zeit, um es wirklich zu fassen und mit Alltagsentscheidungen in Verbindung zu bringen. Und Verantwortung für eine Krise, aber auch deren Lösungen lassen sich ja dann doch noch recht leicht auf die gesellschaftlichen Institutionen (Politik oder Wirtschaft) verschieben. Und dann sind da ja noch die unzähligen Kommunikationsangebote, die uns versuchen zu sagen, was wir wollen, können und dürfen. Ich bin also mittendrin, in den Bergen, in Innsbruck, in einem großartigen Seminar zum Thema Nachhaltigkeitskommunikation. Die Frage: Welche Rolle spielen Kunst- und Kulturorganisationen dabei, die beschriebenen Kommunikationsfallen in Bezug auf Nachhaltigkeit aufzulösen und neue Wege aufzuzeigen?
Das Thema Nachhaltigkeit ist in aller Munde – insbesondere in Bezug auf die spürbaren Veränderungen durch die ökologische Krise, in der wir mittendrin stecken. Während in den Medien vor allem Umweltkatastrophen, politische Konflikte und soziales Leid beschrieben werden, kommunizieren Organisationen aller Art, von großen Unternehmen bis hin zu Non-Profit-Organisationen und Verbänden, ihre Diagnosen sowie entsprechende Lösungsvorschläge. Sie orientieren sich dabei an den Sustainable Development Goals (SDGs) und versuchen, ihre Verantwortung gegenüber der Gesellschaft, der Umwelt, aber auch in einer wirtschaftlichen Dimension wahr-zunehmen und auch tatsächlich wahrzunehmen. Entsprechende Kommunikationsbemühungen zeigen sich vor allem an der zunehmenden Intensität der sogenannten Nachhaltigkeitsberichterstattung, den CSR („Corporate Social Responsibility“), Nachhaltigkeits- bzw. (neuerdings) ESG-Berichten von Unternehmen, den Fair-Trade oder Green-Siegeln und Zertifikaten, die bestimmte Produkte, Services, aber auch Museen oder Universitäten tragen, oder auch den Bemühungen, die eigenen Aktivitäten mit entsprechenden politischen Rahmenwerken wie der CSRD directive zu verknüpfen.
Aber endet hier die Nachhaltigkeitskommunikation? Eine wichtige Frage, die vor allem von den Kommunikator*innen gestellt wird, die sich im Rahmen von Kulturinitiativen, Theatern, sozialen Bewegungen, aber auch in alternativen Medienformen darum bemühen, einen Nachhaltigkeitsdiskurs zu initiieren und auch kritischen Diskussionen Raum zu geben. So geschehen in Innsbruck, im Rahmen des Lehrgangs Kultur durch Nachhaltigkeit – Nachhaltigkeit durch Kultur von klimakultur.tirol. Ein Angebot einer Antwort: Es gibt noch mehr! Kommunikation von Nachhaltigkeit ist wichtig, Kommunikation über und für Nachhaltigkeit aber noch viel mehr!
Kommunikation von, über und für Nachhaltigkeit
Ein kurzer Blick auf Unternehmenswebsites, aber auch auf den sich aktuell verändernden Jobmarkt zeigt: Strategisch geplante Nachhaltigkeitskommunikation wird immer wichtiger und zunehmend professioneller. Es braucht die strategische Planung von Kampagnen, Pressemeldungen oder auch Social Media Postings, ohne Aktionismus. Und es braucht gut ausgebildete Kommunikationsprofis, die hier Organisationen aller Art und Größe zur Seite stehen – nun oftmals gelabelt als Nachhaltigkeits- oder CSR-Manager oder Reporting Experts.
Darüber hinaus ist es aber offensichtlich, dass es mehr gibt; dass nachhaltigkeitsbezogene Kommunikation nicht nur in der Wirtschaft passiert. Ganz im Gegenteil. Immer mehr Think Tanks, Lehrgänge, Weiterbildungsangebote oder Strategieentwicklungsprozesse in Städten, (Hoch-)Schulen oder auch politischen Institutionen zeigen, dass Kommunikation über Nachhaltigkeitsthemen, aber auch über das, was Nachhaltigkeit ist und wie es als Handlungsprinzip auf allen Ebenen wirken kann, stattfindet.
Damit umfasst Nachhaltigkeitskommunikation heute alle gesellschaftlichen Kommunikationsprozesse – sowohl vermittelt durch Medien, Kommunikationen in, aus und um Organisationen, als auch inter- und intrapersonale, formelle und informelle Kommunikationsprozesse, in denen Nachhaltigkeit ausgehandelt wird. Die Grafik zeigt eine Übersicht über die entsprechenden Dimensionen der Nachhaltigkeitskommunikation. (1) Mit Hilfe einer kommunikationswissenschaftlichen Perspektive können wir also Kommunikation von Nachhaltigkeit von Kommunikation über und für Nachhaltigkeit unterscheiden:
- Kommunikation von Nachhaltigkeit: Unternehmensberichte, das so genannte ’non-financial reporting‘, aber auch Non-Profit-Organisationen oder politische Institutionen, die ihre Verantwortung für und Aktionen in Bezug auf Nachhaltigkeitsthemen auf ihrer Website oder entsprechenden Social Media-Kanälen kommunizieren. Diese haben vor allem das Ziel, ihre Anspruchsgruppen zu informieren. Die Funktion der Kommunikation ist also, die Übermittlung bestimmter Fakten und Informationsbausteine. Eine wichtige Anlaufstelle für die Verbreitung von Informationen sind die Medien bzw. die Journalist*innen.
- Kommunikation über Nachhaltigkeit: Medien und Journalist*innen sind nicht nur Vermittler*innen von Informationen, die ihnen von Unternehmen und Organisationen zugeschickt werden. Sie stellen Öffentlichkeit her und damit auch öffentliche Verhandlungsräume bereit. In den Medien findet also Kommunikation über Nachhaltigkeit statt, unterschiedliche Argumente und Interpretationen haben – theoretisch – Raum.
- Kommunikation für Nachhaltigkeit: Spannend und weniger untersucht oder theoretisch bearbeitet ist der dritte Bereich, Kommunikation für Veränderung bzw. Kommunikation, mit der sich Individuen und Organisationen direkt an sozio-ökologischen Veränderungsprozessen beteiligen. In diesen Bereich fallen partizipative Kommunikationsformen, in denen Sprecher*innen und Publikumsrollen weniger zugeteilt sind, selbstorganisierte Netzwerktreffen, soziale Bewegungen, so genannte Stakeholder-Dialoge, Think Tanks, aber auch beispielsweise repair cafés, wo eine Aushandlung von Werten stattfindet – ausgerichtet auf das Prinzip der Nachhaltigkeit.
In diesen Dimensionen herrschen bestimmte Narrative und Deutungsangebote der Welt vor:
- Narrative of growth: In der ersten Dimension der Kommunikation von Nachhaltigkeit findet wir eine Dominanz der ‚growth narrative‘, der Metaerzählung, dass Nachhaltigkeit eine Alternative in unserem kapitalistischen Denken ist und neue Wachstumspotenziale enthält.
- Narrative of de-growth: Demgegenüber steht das Narrativ des ‚de-growth‘, das insbesondere in den Medien durch entsprechende Darstellungen der aktuellen Umwelt- und Sozialkrisen gefördert wird. Dieses Narrativ beinhaltet auch Geschichten des Verzichts und der bewussten Abstinenz von bestimmten Verhaltensweisen.
- Narrative of post-growth: Weniger bekannt sind so genannte ‚post-growth‘-Szenarien und damit Alternativen zu dem bestehenden, kapitalistischen System. Hier besteht die Herausforderung, dass es nicht ein Narrativ, eine Erzählung oder ein bestimmtes Deutungsmuster gibt, das „promoted“ werden bzw. auf das sich die Gesellschaft vereinbaren könnte. Stattdessen brauchen wir in dieser Dimension Polarisierung, Problematisierung und Diskurs, denn nur so kann die Gesellschaft, aber auch eine bestimmte Gruppe, Organisation, eine Community oder ein Stadtteil ausdefinieren, was Nachhaltigkeit für den jeweiligen Kontext eigentlich bedeutet.
„Werte begründen Handeln.“
Nachhaltigkeitskommunikation darf also nicht nur in unterschiedlichen Vermittlungsformen diskutiert werden. Die Aufmerksamkeit in der Zukunft sollte vor allem darauf liegen, mehr über Nachhaltigkeit zu diskutieren, Räume zu schaffen, in denen ausdiskutiert wird, was denn nachhaltiges Handeln in dem jeweiligen Kontext eigentlich heißt. Die Beschäftigung mit Nachhaltigkeit als Komplex an Wertvorstellungen, Normen und Regeln ist notwendig! Werte sind Ziele, sowohl für individuelle als auch soziale und damit organisationale Zusammenhänge und deren Entwicklung. Werte begründen Handeln. Und damit eröffnet Nachhaltigkeit als Wert neue Handlungsspielräume und hat das Potenzial, zu einem Universalwert, zu einer Handlungsdimension und zum Leitmotiv zu werden, um praktisches Handeln zu prägen und zu leiten.
An dieser Stelle kommen nicht nur, aber auch Kunst- und Kulturinstitutionen in den Blick, da diese entsprechende Aushandlungsräume schaffen und die Auseinandersetzung mit dem Wert der Nachhaltigkeit anbieten, kultivieren und zu einer Pflicht machen.
Nachhaltige Kommunikation
Wenn wir davon ausgehen, dass Nachhaltigkeit auch als handlungsleitendes Prinzip Kommunikation leiten soll, Nachhaltigkeit also als normativer Kompass sowohl Thematisierungs- als auch Problematisierungsprozesse begleiten und entsprechend prägen soll, dann gilt für alle Kommunikationsprozesse in Bezug auf Nachhaltigkeitsthemen das folgende Ziel: Das Ziel, eine kulturelle Verankerung des Prinzips Nachhaltigkeit durch, über und in gesellschaftlichen Kommunikationsprozessen zu schaffen.
Kunst und Kultur können alle Aspekte nachhaltigen Handelns thematisieren und – mehr als andere gesellschaftliche Institutionen – problematisieren; den Finger auf wunde Punkte legen; Kommunikationsprozesse initiieren und ermöglichen, dass sich neue Muster, dass sich neue Werte und neues Verhalten etablieren kann und somit kulturelle Veränderung passiert: eine Kultur der Nachhaltigkeit.
Der nächste Schritt wird also sein, mehr und neue Kommunikationsräume zu eröffnen. Damit sind nicht unbedingt noch mehr Arbeitskreise oder politische Gremien gemeint, sondern Kaffeeküchen, Wohnzimmer, Klassenzimmer, Umkleidekabinen, Werkstätten, Kantinen, Liegewiesen, Theaterfoyers, Kunstaustellungen oder Kneipen – aber auch virtuelle Plattformen oder eine lokale Facebook-Gruppe. Und dort muss über Skifahren, Flugreisen, Avocado-Sandwiches und Schnitzel diskutiert werden, um neue Handlungsmuster zu üben und Nachhaltigkeit zu kultivieren, zur Norm zu machen und so zu normalisieren.
Kontakt: franzisca.weder@wu.ac.at / linkedIn
Zum Nachlesen: uq.pressbooks.pub/stratcommsustainability/
Univ.Prof.Dr.habil Franzisca Weder, Wirtschaftsuniversität Wien
Department of Business Communication
Arbeitsbereich: International Organizational & Sustainability Communication