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Ein blauer Faden

Im Juni und Juli 2022 war die Ausstellung „perfect blue“ – Die (scheinbar) perfekte Welt in der Fördergalerie der Stadt Innsbruck – Plattform 6020 zu sehen. Der Künstler hinter den Werken heißt Martin Hörtnagl, Maler und Nachhaltigkeitscoach. (1) Mit einem kritischen Blick nähert er sich in seinen Werken den großen Herausforderungen unserer Zeit – Klimakrise, Ressourcenverschwendung, Technologisierung. Grund genug, näher hinzuschauen. Wir haben Martin Hörtnagl Mitte Juli bei einem öffentlichen Künstlergespräch mit der Kulturvermittlerin Angelika Schafferer begleitet.

Die (scheinbar) perfekte Welt

Bei einem ersten Rundgang durch die Galerie Plattform 6020 in der Stadtbibliothek Innsbruck bleibt der Blick schnell an fröhlichen Badeentchen, eisigen Berglandschaften, einem majestätisch anmutenden Widder namens „Chnum“ und anderen Lebewesen haften. In seiner in Blautönen gehaltenen Serie „perfect blue“ hinterfragt der Künstler Martin Hörtnagl diese auf den ersten Blick scheinbar perfekte Welt, die uns ein strahlend blauer Himmel, unversehrte Eisgebilde und klares Meerwasser suggerieren mögen.

 

Erst bei genauerem Hinsehen erschließt sich für die Betrachter*innen die Illusion: Der strahlend blaue Himmel – quasi zerschnitten durch die Kondensstreifen des täglichen Flugverkehrs; der mächtige Wal – „Der letzte seiner Art“, so der Titel des Bildes (2); der Eisberg – dahinschmelzend; das klare Meerwasser – leergefischt.

“Kunst überzeichnet, das ist ja klar, aber es ist auch Tatsache, dass die Meere überfischt sind, und dass sich das Lebendige mit dem Toten gerade austauscht.”

Was Badeentchen mit den Weltmeeren zu tun haben

Friendly Floatees ist im Laufe des Künstlergesprächs eine jener Arbeiten, die die Aufmerksamkeit der Besucher*innen wohl am meisten auf sich zieht. (3) Die Geschichte dahinter diente zum gedanklichen Anstoß für Hörtnagl: Als das Frachtschiff „Ever Laurel“ im Januar 1992 im Nordpazifik in einen schweren Sturm gerät, gehen mehrere Container über Bord. Darin transportiert wurden unter anderem knapp 30.000 bunte Kunststofftiere – Enten, Biber, Frösche und Schildkröten –, die sich „befreien“ konnten und fortan freundlich dreinschauend auf den Weltmeeren dahintrieben, „friendly floatees“ eben.

 

Während für die Wissenschaft dadurch zwar relevante Daten zu den Meeresströmungen gesammelt werden konnten, so macht dieser Containerunfall gleichzeitig bewusst, dass die niedlichen Plastiktierchen am Ende eben auch nur Plastikmüll sind, der – neben all den anderen Tonnen an Müll – in unseren Weltmeeren herumtreibt und so schnell nicht vergehen wird. Im Gegenteil –Wellen, Wind und UV-Strahlung haben den Tierchen zugesetzt und das Material porös werden lassen; das dabei entstandene Mikroplastik bleibt über viele, viele Jahrzehnte hinweg weiterhin im Meer.

Die “bittere Pille” Menschheit

Auf den ersten Blick erscheint also alles perfekt und schön; erst auf den zweiten Blick offenbart sich das Unschöne – die Umweltverschmutzung, das Artensterben, das Schmelzen der Gletscher. Es zieht sich ein Muster durch die Serie „perfect blue“, ein blauer Faden quasi. Man lässt den Blick über Landschaften und Tierwelten schweifen, nur um im nächsten Moment zu erkennen, dass hinter jedem Gemälde eine tiefere Botschaft steckt, sich der Künstler also vorab bewusst mit bestimmten Themen und Ereignissen auseinandergesetzt hat.

 

Der Ausgangspunkt könnte etwa die Vermüllung der Meere sein; das Nichtstun der Politik (ausgedrückt im Schriftzug des Werkes Bla Bla Bla, zitiert nach Greta Thunberg); oder die Auswirkungen des Flugverkehrs auf das Klima, verarbeitet im neunteilig angeordneten Werk Wem gehört der Himmel? (4) Bezeichnend dafür steht auch die „Bittere Pille“ namens MANKIND, also Menschheit, an der die Ameisen im gleichnamigen Bild zu sterben scheinen. (5) Hörtnagl bezeichnet sie als „die letzten Überlebenden“, beschreibt Insekten als zäh und überlebensfähig – und dennoch gehen in seinem Werk ausgerechnet diese Lebewesen an der Menschheit zugrunde.

Ein Blick in die Tiefe

Mit der Motivsuche sei es „so eine Sache“, sagt Hörtnagl, als die Gruppe während des öffentlichen Künstlergesprächs die persönlichen Eindrücke zum Bild eindrittel/zweidrittel teilt, ein Werk, das einen Eisberg im tiefblauen Meer zeigt. (6) „Es hat ja alles extrem viel mit Gefühl zu tun, da fängt es an, dass einen etwas berührt.“ Hörtnagl beschreibt es als sein Grundbedürfnis, sich und seine Anliegen über die Kunst auszudrücken.

 

Anhand dieses Gemäldes kommt auch der Unternehmer und Nachhaltigkeitscoach zum Vorschein: „Es gibt ja auch in der Wirtschaft dieses Eisberg-Prinzip, ein Drittel sieht man, zwei Drittel sind unter Wasser. Was man nicht sieht und nicht benennen kann, ist vielleicht der wichtigere oder größere Teil. Und warum dieser Eisberg? Es geht um unser Klima und darum, was mit unserer Erde gerade passiert. Dieser Blick in die Tiefe, das war die Inspiration bei dem Ganzen.“

Das Prinzip Hoffnung

Den Blick in die Tiefe hat Martin Hörtnagl (7) schon früh gewagt, etwa als er in jungen Jahren einen Kulturverein in seiner Heimatgemeinde Leutasch mitgründet: „Wir waren sehr kritisch und teilweise auch aufmüpfig, vielleicht wirkten wir für so manchen sogar etwas unsympathisch. Aber das war halt die Zeit, und die war sehr prägend, weil ich da mit Kunst in Verbindung gekommen bin und mich ausprobiert habe.“ Bereits in der Jugend beginnt er Comics und Karikaturen zu zeichnen. Vom ursprünglichen Traumberuf Landwirt ging es in eine Tischlerlehre. Hörtnagl nennt im Gespräch auch seine Tätigkeiten als Innenraumgestalter, Einrichter und Marketingleiter als Meilensteine seines Werdegangs.

 

Auf die Frage, wie sich sein heutiger „Brotjob“ als Nachhaltigkeitsberater mit seinem künstlerischen Schaffen verbinden lässt, sagt Hörtnagl: „Künstler*innen bringen immer eine gewisse Form von Sensibilität mit für das, was gerade passiert, und sind in der Hinsicht auch Visionäre.“ Mit dem künstlerischen Schaffen gehe für ihn eine persönliche Entwicklung einher, etwa wenn er sich die Frage stellt, wie er leben will – und wie er eben nicht mehr leben will, also sich für einen bewussteren Umgang mit Ressourcen entscheidet.

 

In diesem Zusammenhang erwähnt Hörtnagl das „Prinzip Hoffnung“: Er nimmt eine fortschreitende Sensibilisierung der Gesellschaft wahr und spricht sich dafür aus, dass sich alle Sparten dem Klimathema widmen müssen. Als Nachhaltigkeitscoach kann er seinen Zugang zum Klimaschutz im Gespräch mit Kund*innen eben auch aus der Sicht eines Künstlers vermitteln. Die Kunst sieht er dabei als „Ventil“, um ins Tun zu kommen – und auch besser mit der Flut an teilweise doch bedrückenden Informationen umgehen zu können, denen er als Teil dieses „Systems“ nicht entkommt.

Martin Hörtnagl

geboren 1972, entwickelte als gelernter Tischler und Innenraumgestalter schon früh einen praktischen Zugang zu Raum, Form, Licht und Farbe. Anfang der 2010er Jahre begann er sich vertiefend mit seinen künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten auseinanderzusetzen und entwickelte seine eigene, vorwiegend in Öl gemalte Bildsprache. Es folgten Gruppen- und Einzelausstellungen sowie Land-Art-Projekte und Installationen. Es sind die sozialen und ökologischen Herausforderungen unserer Zeit, die Würde von allem Lebendigen und deren transformative Prozesse, die ihn berühren und beschäftigen.

(1)Martin Hörtnagl in der Galerie Plattform 6020 © Hörtnagl

(2)"Chnum" und "Der letzte seiner Art" © Hörtnagl

(3)Friendly Floatees, 140 x 100 cm, 2022 © Hörtnagl

(4)"Wem gehört der Himmel?" 9 Bilder à 65 x 50 cm, 2022 © Hörtnagl

(5)Bittere Pille, 100 x 100 cm, 2021 © Hörtnagl

(6)eindrittel/zweidrittel, 100 x 100 cm, 2021 © Hörtnagl

(7)Selbstporträt Martin Hörtnagl © Hörtnagl