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Den mutigen „Spinnern“ geht die Luft aus

oder: Wie wir im Theater lernen, dem Klimawandel zu begegnen.

„Man könnte, man sollte, man müsste…“, so lautet der Titel eines Theaterprojekts der KLAR!-Region Vorderwald-Egg (Vorarlberg). Christian Natter, Vizebürgermeister der Gemeinde Sibratsgfäll und Projektleiter der KLAR!-Region, hatte die Idee dazu. Er will so bewusst Menschen außerhalb der üblichen Kreise für eine klimafitte Zukunft des Bregenzerwaldes gewinnen. Wie es dazu kam und was er sich davon erhofft, schildert er in folgendem Interview mit dem Politologen und Theaterpädagogen Armin Staffler, der das Theaterprojekt künstlerisch begleitet.

AS

Als Förster liegt deine Liebe zum Holz und zum Wald nahe, aber woher kommt dein Engagement für den Klimaschutz und deine Auseinandersetzung mit Fragen der Klimawandelanpassung?

CN

Dazu fallen mir zwei Dinge ein, die einerseits einen positiven und andererseits einen negativen Zugang zum Ausdruck bringen. Der positive zuerst: Der Wald ist ein dynamisches System, das sich langsam verändert, so langsam, dass die Veränderungen auf den ersten Blick oft nicht sichtbar sind. Das ist spannend. Wir treffen heute Entscheidungen im Ökosystem Wald, deren Auswirkungen erst in ein paar oder sogar 100 Jahren schlagend werden, beispielsweise bei der Auswahl der zu pflanzenden Baumarten. Der eigene Einblick in diese Dynamiken ist zwangsläufig gering, die Entwicklung unklar und auch ohne Klimawandel schon schwer genug vorherzusagen. Der Klimawandel an sich ist eine Tatsache, aber seine Folgen für den Wald und uns alle sind komplex. Das macht die Arbeit damit herausfordernd und reizvoll.

AS

Dich reizt also die langfristige Herausforderung und die Möglichkeit zu gestalten. Wie sieht die Kehrseite der Medaille aus?

CN

Dass aufgrund der klimatischen Veränderungen beispielsweise statt zwei inzwischen drei Generationen von Borkenkäfern den Fichten zusetzen, ist eine schmerzliche Erfahrung und setzt auch unsere kleine Region unter enormen Druck. Wenn die Fichtenbestände in den tieferen Lagen im Rheintal oder in Teilen Deutschlands ausfallen, ist es wahrscheinlich, dass sich das auf die Holzwirtschaft und damit die Bauwirtschaft, die Architektur, die Arbeitsplätze, die Landschaft etc. bei uns im Bregenzerwald auswirken wird. Unser Nadelholz im Gebirge wird vielleicht noch einmal sehr gefragt sein. Ich will hier also nicht nur die möglichen Krisen sehen, sondern auch dazu beitragen, Potenziale zu entwickeln.

AS

Sind diese Potenziale ein Grund dafür, warum du dich im Bereich Klimawandelanpassung engagierst und nicht in einem Klimaschutzprojekt? Anders gefragt: Worin besteht der Unterschied zwischen Klimaschutz und Klimawandelanpassung?

CN

Das ist für mich keine Frage von „entweder oder“. Es braucht „sowohl als auch“. Klimaschutzprojekte und Geld dafür gibt es schon länger. Klimawandelanpassung ist als Konzept im Vergleich dazu noch jünger. Im Grunde müssten beide Programme und auch die Finanzierung dafür aus meiner Sicht zusammengeführt werden, denn in der Praxis lässt sich oft nicht unterscheiden, ob eine Maßnahme jetzt Klimaschutz oder Klimawandelanpassung ist. Jedenfalls müssen wir jetzt dafür vorsorgen, dass die Auswirkungen des Klimawandels im Rahmen bleiben. Dazu tragen sowohl der Schutz als auch die Anpassung bei.

AS

Die KLAR!-Region Vorderwald-Egg plant im Rahmen von „would 2050“ nun ein interaktives Theaterprojekt mit dem Titel „Man könnte, man müsste, man sollte…“. Was kann Theater im Zuge von Klimawandelanpassungsmaßnahmen bewirken?

CN

Wir haben bisher Exkursionen und Vorträge veranstaltet und es kommen da oft die gleichen Leute. Wir wollen darüber hinaus aber noch mehr und auch andere Menschen ansprechen. Die Leute hören sich z. B. einen Vortrag von Helga Kromp-Kolb (Anm. d. A.: österr. Meteorologin und Klimaforscherin) an, gehen betroffen heim und tun dann weiter wie vorher. Dabei geht den engagierten, kreativen, mutigen „Spinnern“ die Luft aus, wenn sie mit ihrem Einsatz allein auf weiter Flur bleiben. Helga Kromp-Kolb meinte, dass wir nicht alle erreichen müssen – es genügen 15 % der Bevölkerung, um eine Bewegung und Veränderung in Gang zu setzen. Aber davon sind wir wahrscheinlich noch ein Stück entfernt. Wir brauchen mehr Leute und müssen daher auf sämtlichen Kanälen kommunizieren. Und wir müssen die Leute begeistern und berühren – deshalb Theater.

AS

Ihr schreibt in eurer Plenterwald-Fibel, dass Nachhaltigkeit „zunehmend schwieriger [wird], da die unterschiedlichen gesellschaftlichen Ansprüche an den Wald zu Konflikten führen (…).“ Nun ist das Theater prädestiniert dafür, Konflikte zu zeigen und zu behandeln. Von welchen Konflikten reden wir beim Wald und der Klimawandelanpassung?

CN

Wälder sind seit dem Inkrafttreten des Forstgesetzes von 1975 offen, sprich: Ganz Österreich darf zu Erholungszwecken in den Wald. Und dann sind Konflikte zwischen unterschiedlichen Waldnutzer*innen vorprogrammiert: zwischen Eigentümer*innen und Erholungssuchenden, zwischen Kümmerer*innen und Holzarbeiter*innen, zwischen Sportler*innen und Jäger*innen. Es gibt viele Interessen, und wer Interessen hat, fühlt sich zuständig. Es macht einen Unterschied, ob ich Bäume „um-fälle“ oder „um-arme“. Sehe ich den Wald als Kraftplatz für mein Yoga-Angebot oder als Freizeitattraktion für Tourengeher*innen und Downhiller*innen? Als Lebensraum für Wild oder als Wirtschaftsraum für die Ernte von Rohstoffen und damit als Arbeitsplatz?

AS

Die Perspektive bestimmt also die Zukunft des Waldes. Auf der Bühne wurde schon immer das Verhalten der Menschen zueinander und zu ihrer Umwelt verhandelt und dargestellt. Was wünschst du dir von „Man könnte, man sollte, man müsste…“?

CN

Ich wünsche mir, dass die Leute neugierig werden, dass sie nachfragen. Was passiert da? Inwieweit betrifft mich das? Soll ich mich engagieren, zum Beispiel im Gemeinderat, im Bauausschuss? Ich wünsche mir, dass die Menschen überrascht werden und eine positive Energie aus den Theater-Vorstellungen ziehen – denn wir können und wir müssen. Ich will, dass wir erkennen, dass es für uns alle etwas zu tun gibt!

AS

Das wünschen sich alle Theatermacher*innen! Danke für das Gespräch und toi, toi, toi!

Nachtrag

Seit dem Interview ist einiges an Zeit vergangen und inzwischen haben 5 Aufführungen von “Man könnte, man sollte, man müsste…” stattgefunden. Einen Bericht dazu gibt hier.

 

Das Stück zeigte schlussendlich die oben angesprochenen Interessenskonflikte anhand eines Wohnbauprojekts, wo sich der Bogen von den Beziehungen der Menschen (Vater-Sohn, „alte Liebe“) über die Gemeindepolitik hin zu den großen Widersprüchen im Umgang mit der Klimakrise spannt: Wohnbau vs. Bodenversiegelung, Solidarität vs. Eigeninteressen, Dagegen vs. Dafür, Vergangenheit vs. Zukunft, eigene Wünsche und Bedürfnisse vs. Gemeinwohlinteressen.

 

Interessent*innen an dem Projekt melden sich bitte bei der Geschäftsstelle Klar!-Region Vorderwald-Egg:
Dorothee Glöckle
Managerin der KLAR! Vorderwald-Egg
+43 676 4085860, info@would2050.at, www.would2050.at

Armin Staffler

ist Theaterpädagoge und Politologe und begleitet seit 21 Jahren Theaterprojekte zu Fragen des Zusammenlebens. Er ist Obmann von spectACT – Verein für politisches und soziales Theater und Mitglied von klimakultur.tirol. Er hat „Man könnte, man sollte, man müsste…“ künstlerisch begleitet.

Christian Natter

ist Bezirksförster für die Forstregion Nord (Bezirke Bregenz und Dornbirn) in Vorarlberg, Vizebürgermeister der Gemeinde Sibratsgfäll und Mitinitiator der KLAR!-Region Vorderwald-Egg. KLAR steht für „Klimawandel-Anpassungsmodellregion“. Der Vorderwald – ein Teil des Bregenzerwaldes – besteht aus den Gemeinden Doren, Hittisau, Krumbach, Langenegg, Lingenau, Riefensberg, Sibratsgfäll und Sulzberg und mit Egg kommt noch eine Gemeinde des Mittelwaldes dazu, weil Egg mit den anderen acht Gemeinden eine Waldregion mit sechs Waldaufsehern bildet. Die Gemeinden des Vorderwalds sind auch KEM-Region (Klima- und Energiemodellregion) und arbeiten auch sonst in vielen Bereichen zusammen. Das Interview mit Christian Natter gibt einen Einblick in die neueste Projekt-Idee im Rahmen von KLAR!. Christian Natter spricht über seine Beweggründe sich zu engagieren und wie das interaktive Theaterprojekt „Man könnte, man sollte, man müsste…“ dabei helfen wird, Möglichkeiten zu entdecken dem Klimawandel mit positiver Energie zu begegnen.

Aus Zuschauer*innen werden im Theater Akteur*innen, die dann im Alltag aktiv werden. Foto: Christian Natter