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Das Theater mit der Zukunft

Es ist Allerheiligen in Tirol. Der Bauer Anton ist am Weg zum Familiengrab, als er seiner Schwester Lisa über den Weg läuft. Die beiden haben sich lange nicht gesehen, weil Lisa aus dem Dorf in die Stadt gezogen ist. Trotzdem ist das Wiedersehen alles andere als herzlich. Die beiden sind kurz angebunden, ihre Blicke weichen einander aus. Ein Konflikt liegt in der Luft.

Das ist die Anfangsszene des neuen Forumtheaters „Jetzt! Das Theater mit der Zukunft“. Das Stück feierte am 5. Mai seine Vorpremiere im Rahmen der ÖKO FAIR Messe in Innsbruck. Mit dabei: Fünf Schauspieler*innen, eine Moderatorin und ein interessiertes Publikum.

 

Die Geschichte geht weiter, die Figuren sind zerstritten und frustriert. Es geht um eine Umfahrungsstraße, die in der Tiroler Gemeinde gebaut werden soll. Bauer und Bürgermeister sind dafür, deren Schwester bzw. Tochter dagegen. Die einen sagen Verkehrsentlastung, die anderen Klimaschutz. Und was sagt das Publikum?

Was würdest du tun?

Am Ende des 15-minütigen Stücks tritt die Moderatorin, Maria Legner von Klimabündnis Tirol, auf den Plan. Sie spielt den Ball zurück ins Publikum. Welche Entscheidungen können die Figuren anders treffen? Was würdest du an ihrer Stelle tun und sagen? Das Stück beginnt von vorne, aber diesmal mit Beteiligung der Zuseherinnen und Zuseher.

 

Bei einem „Stopp“ aus dem Publikum frieren die Figuren ein. Mehrere Zuseher*innen wagen sich nacheinander auf die Bühne und nehmen den Platz einer Figur ein. Auch der Tiroler Klimaschutz-Landesrat René Zumtobel:

„Die Möglichkeit sich selbst durch aktives Mittun in Entscheidungsprozesse einzubringen ist genau das, was wir oft auch brauchen. Durch einen Perspektivenwechsel die Sicht der anderen einzunehmen, ist eine wertvolle Erfahrung für künftige Herausforderungen.“

Das Ergebnis der Einmischung aus dem Publikum: Die Gespräche sind ruhiger, versöhnlicher. Die Stimmung zwischen den Figuren verändert sich. Und was gerade noch ein verhärteter Konflikt war, scheint nicht mehr ganz so aussichtslos.

 

Eingefahrene Sichtweisen werden aufgebrochen, und zwar nicht indem schulmeisterlich einfache Lösungen präsentiert werden, sondern indem jede*r einzelne sich selbst zu fragen beginnt, wie Veränderung gelingen könnte“, resümiert Christina Alexandridis vom Tiroler Landestheater, die ebenfalls im Publikum sitzt, und ergänzt:

„Ich finde, dieses Theaterprojekt ist hervorragend geeignet, um miteinander ins Gespräch zu kommen und gemeinsam an kreativen Lösungen im Umgang mit den Herausforderungen des Klimawandels zu arbeiten.“

Wer Straßen sät, wird Verkehr ernten

Klar: Die Umfahrungsstraße in dieser fiktiven Gemeinde ist eine Metapher. Sie steht für all die alternativlos erscheinenden Entscheidungen, die auch heute noch im Angesicht der Klimakrise getroffen werden. In Österreich gehen fast 30 % der CO2-Emissionen auf das Konto des motorisierten Verkehrs. Für wirkungsvolle Klimapolitik ist eine Verkehrswende unerlässlich. Trotzdem werden weiterhin Straßen gebaut, ein Tempolimit ist in weiter Ferne.

 

Wie kann das sein, fragen sich viele, wo uns doch die Auswirkungen der Klimakrise immer wieder vor Augen geführt werden? Warum stehen politische Entscheidungen, wie jene im Forumtheater „Jetzt!“, immer noch auf der Tagesordnung von Gemeinden?

Ein Stück Verständnis

Als Zuseherin passiert etwas Spannendes: Anstatt den Kopf zu schütteln oder gar in den Sand zu stecken, versucht man die Figuren zu verstehen. Was sind ihre Beweggründe? Und man begreift: Die Figuren sind nicht gut oder böse, alle haben nur das Beste für ihre Gemeinde im Sinn. Nur, die Meinungen darüber, was das Beste wäre, liegen weit auseinander.

 

Die persönlichen Differenzen zwischen Bruder und Schwester oder Vater und Tochter machen einen konstruktiven Dialog zudem unmöglich. „Wer von euch kennt das, dass festgefahrene, familiäre Konflikte einer guten Lösung im Weg stehen“, fragt die Moderatorin ins Publikum. Fast alle zeigen auf, so wie bei vielen anderen Reflexionsfragen, die Maria Legner an die Zuseher*innen zurückspielt.

 

Was bleibt, sind nachdenkliche Gesichter, viele Aha-Momente und ein Stück Verständnis für jede Figur auf der Bühne.

“Theater kann uns helfen, unsere Zukunft zu gestalten, anstatt auf sie zu warten.”
Augusto Boal, Theatermacher

Über Forumtheater

Augusto Boal hat das „Theater der Unterdrückten“ ins Leben gerufen. Forumtheater ist eine Methode daraus, hier in der Version nach David Diamonds „Theater zum Leben“. Es arbeitet gemeinsam mit dem Publikum an Möglichkeiten der Veränderung für ein gesellschaftliches Problem. Die Analyse und Überwindung von Machtstrukturen, Ungleichheit und Diskriminierung sind zentrale Elemente, ebenso die Erweiterung der Handlungsspielräume als Individuum und Gesellschaft.

 

Das Forumtheater „Jetzt! Das Theater mit der Zukunft“ wurde von Armin Staffler, Politologe und Theaterpädagoge beim Verein spectACT, gemeinsam mit den Schauspieler*innen Veronika Schwarz, Alma Stastny, Katharina Geistlinger, Ingomar Glatz und Siegfried Walser in Workshops mit zahlreichen anderen an der Thematik interessierten Menschen entwickelt. Begleitet wurde das Projekt von Klimabündnis Tirol und TKI (Tiroler Kulturinitiativen) im Rahmen der Initiative Klimakultur Tirol mit einer Förderung des Landes Tirol. „Jetzt!“ wurde bereits mit dem ArgeAlp Klimaschutzpreis ausgezeichnet.

info

Wo ist das Forumtheater „Jetzt!“ zu sehen?

 

22.9.2023 | 19:30 Uhr | Brixlegg, Aula der Volksschule
23.9.2023 | 20:00 Uhr | Absam, KiWi
07.11.2023 | 20:00 Uhr | Schwaz, Knappensaal im SZentrum | Anmeldung unter kem@regio-schwaz.tirol
28.11.2023 | 19:30 Uhr | Kufstein, Landesmusikschule
25.01.2024 | 19:30 Uhr | Innsbruck, Haus der Begegnung

 

Weitere Infos gibt es hier.

© Daniel Jarosch